Entfall der Vertragsstrafe bei beiderseits zu vertretenden Ablaufstörungen!

Bei einer erheblichen Änderung des Terminplans infolge beiderseits selbstständig verursachter Verzögerungen (Doppelkausalität) kann ein Vertragsstrafeversprechen des Auftragnehmers hinfällig sein. Hierzu genügt der Nachweis, dass die vom Auftraggeber zu vertretende Bauablaufstörung allein für sich genommen bereits eine wesentliche Überschreitung des vereinbarten Fertigstellungstermins zur Folge gehabt hat. Dies hat das OLG Frankfurt a. M. in seinem Urteil vom 03.02.2023 – 21 U 47/20 entschieden.

I. Sachverhalt

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall beauftragte der Auftraggeber (AG) den Auftragnehmer (AN), ein Netzanschlusssystem zu errichten, welches dem Anschluss eines Offshore-Windparks an das Stromnetz auf dem Festland dienen sollte. Die Parteien vereinbarten eine Pauschalvergütung von rd. 750 Mio. Euro. Nach dem Projektvertrag, in dem die VOB/B nicht einbezogen wurde, sollte eine Fertigstellung der Arbeiten bis zum 25.03.2015 erfolgen. Für den Fall der Nichteinhaltung des Fertigstellungstermins hat der AN für jeden Kalendertag der Überschreitung eine Vertragsstrafe i. H. v. 0,03 % pro Tag, maximal 10 % des Vertragspreises zu zahlen. Daneben enthält der Vertrag eine Regelung zu einer Verlängerung der Fertigstellungsfrist sowie zu einem Anspruch des AN auf Ersatz verzugsbedingter und nachweislich entstandener Kosten im Falle von verzögerten Mitwirkungshandlungen des AG. Zur Ausführung der vertraglich geschuldeten Leistungen war erforderlich, dass der AN einen Zugang zur Offshore-Plattform erhält, welcher ursprünglich für April 2014 durch den AG gewährleistet werden sollte. Diese Zugangsmöglichkeit wurde in der Folgezeit durch den AG auf Juni 2015 verschoben. Zudem ordnete der AG im Laufe der Bauausführung mindestens 144 Leistungsänderungen an. Aus diesen, aber auch aus weiteren verschiedenen zu einem nicht unerheblichen Teil auch vom AN zu vertretenden Gründen verzögerte sich die Fertigstellung des Netzanschlusssystems um einen Zeitraum von zwei Jahren.

Der AN erhob Klage auf Zahlung einer behinderungsbedingten Mehrvergütung von rd. 450 Mio. Euro. Der AG verlangt widerklagend u. a. die Zahlung einer Vertragsstrafe i. H. v. rd. 80 Mio. Euro. Das Landgericht hat Klage und Widerklage abgewiesen. Zur Unbegründetheit der Klage führte es aus, es fehle an einem schlüssigen Vortrag zum tatsächlichen Zusammenhang zwischen den einzelnen geltend gemachten Verzögerungen und einer dadurch bedingten konkreten Behinderung des Bauablaufs. Der widerklagend geltend gemachte Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe stehe dem AG nicht zu, da der Zeitplan zur Fertigstellung durch nicht dem AN anzulastende Verzögerungen völlig umgeworfen und demnach einer grundlegenden Neuordnung bedurfte.

Gegen das erstinstanzliche Urteil legte der AG Berufung ein und verfolgte seinen Zahlungsanspruch weiter. Zur Begründung verwies er u. a. auf eine widersprüchliche Argumentation des Landgerichts. Nach seiner Ansicht schließe die im Rahmen des Mehrvergütungsanspruchs zutreffend herausgestellte fehlende bauablaufbezogene Darstellung zugleich die Feststellung aus, dass der Bauablauf durch von dem AG zu vertretende Umstände umgeworfen worden sei.

II. Entscheidung

Ohne Erfolg! Das OLG Frankfurt a. M. hat die Berufung des AG zurückgewiesen.

Ein Anspruch auf Vertragsstrafe stehe dem AG deshalb nicht zu, da der vereinbarte Fertigstellungstermin nach den Grundsätzen über die Hinfälligkeit eines Vertragsstrafeversprechens bei sog. „umgeworfenen Terminplänen“ unbeachtlich sei. Ist der AN – wie vorliegend – aus von ihm nicht zu vertretenden Umständen gezwungen, seinen gesamten Zeitplan umzuwerfen und grundlegend neu zu ordnen, so wird nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Vertragsstrafenregelung insgesamt die Grundlage entzogen (vgl. BGH, Urteil vom 13.01.1966 – VII ZR 262/63). Dies gelte auch dann, wenn der Vertrag für einen solchen Fall einen Anspruch des AN auf Verlängerung der Fertigstellungsfrist nach Maßgabe des § 6 VOB/B oder einer dazu vergleichbaren vertraglichen Regelung vorsieht. Es könne nämlich von vornherein nicht angenommen werden, dass die Parteien auch eine Situation von dem Vertragsstrafeversprechen erfasst sehen wollten, bei der sich der AN durch nicht von ihm zu vertretende Umstände sodann zu einer grundlegenden Neuordnung seines Terminplans gezwungen gesehen hätte. Ein solches Ergebnis widerspreche den Grundsätzen von Treu und Glauben, denn grundlegende Änderungen des Terminplans ziehen erfahrungsgemäß weitere Folgen nach sich, die nicht mehr in das ursprüngliche Vertragsbild einzuordnen sind.

Dem stehe auch nicht entgegen, dass das Landgericht zu Recht der Auffassung gewesen ist, dass der seitens des AN geltend gemachte Mehrvergütungsanspruch infolge des Fehlens einer bauablaufbezogenen Darstellung unzureichend dargelegt worden ist. Darin liege kein gedanklicher Widerspruch. Mit der Versagung einer Zusatzvergütung werde nur dem allgemeinen Grundsatz Rechnung getragen, dass es zulasten des AN geht, wenn er die Voraussetzungen eines von ihm gegen den AG geltend gemachten Vergütungsanspruchs nicht nachzuweisen vermag. Nicht gesagt sei damit jedoch, dass er zugleich den vermögensmäßigen Nachteil zu tragen hat, der mit der Zubilligung einer Vertragsstrafe an die Gegenseite verbunden ist.

Weiter sei unerheblich, ob dem AN seinerseits Bauablaufstörungen zur Last fallen, die ebenfalls zu einem „Umwerfen“ des Terminplans geführt hätten (Doppelkausalität). Für eine solche Beurteilung spreche bereits die Funktion der Vertragsstrafe, auf den Besteller zusätzlichen Erfüllungsdruck auszuüben. Diese Funktion könne die Vertragsstrafe nicht sinnvoll ausüben, wenn es dem AN schon aufgrund eines von dem AG zu vertretenden Umstandes nicht möglich wäre, die Leistung zu dem mit der Vertragsstrafe bewehrten Termin fertigzustellen. Der AG müsse es sich somit zumindest in entsprechender Anwendung des § 162 BGB und nach § 242 BGB entgegenhalten lassen, dass die Leistung schon wegen eines Umstandes aus seinem Verantwortungsbereich nicht möglich gewesen wäre.

III. Fazit

Das Oberlandesgericht differenziert bei seiner Entscheidung zwischen dem Anspruch des Auftragnehmers auf Zahlung einer baubehinderungsbedingten Mehrvergütung und dem Anspruch des Auftraggebers auf Zahlung einer Vertragsstrafe. Die für einen Mehrvergütungsanspruch darzulegende konkrete Gegenüberstellung des hypothetischen Bauverlaufs ohne die vom Auftraggeber zu vertretende Störung mit dem durch die Störung verursachten tatsächlichen Bauablauf stellt gerade bei umfassenden Bauprojekten eine schwerlich zu überwindende Hürde dar. Demgegenüber sind die Anforderungen an den Vortrag des Auftragnehmers zum Wegfall einer Vertragsstrafe wegen „Umwerfens“ des Terminplans deutlich geringer. Hier genügt der Nachweis, dass zumindest (auch) ein vom Auftraggeber zu vertretender Umstand zur Neuordnung des Terminplans geführt hat.