Die Wohnfrage bei sozialen Einrichtungen

Nach einer Entscheidung des OVG NRW vom 04.06.2020 (Az. 2 B 417/20) ist bei der Frage, ob es sich bei einer sozialen Betreuungseinrichtung um „Wohnen“ im Sinne des Bauplanungsrechts handelt, auf das konkrete Nutzungskonzept abzustellen. Der Fall betrifft die immer relevantere Frage, welchen Hürden flexible Betreuungsformen in Wohngebieten begegnen können.

Häufig besteht das Ansinnen, eine soziale Betreuungseinrichtung in der Umgebung von Wohnbebauung zu realisieren. Schwierigkeiten können sich dabei u. a. in reinen Wohngebieten ergeben. Nach § 3 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO sind soziale Einrichtungen nur ausnahmsweise zulässig, wenn die Anlage für soziale Zwecke den Bedürfnissen der Bewohner des reinen Wohngebietes dient. Verschärft wird die Problematik dadurch, dass ältere Bebauungspläne frühere Versionen der BauNVO für anwendbar erklären. Anlagen für soziale Zwecke sind dann unter Umständen nicht zulässig. Es kommt also häufig auf die Frage an, ob es sich bei der konkreten Betreuungseinrichtung um eine Form des Wohnens handelt oder um eine soziale Einrichtung.

Die Entscheidung

In diesen Kontext fällt die Entscheidung des OVG NRW vom 04.06.2020 (Az. 2 B 417/20). Das Bauvorhaben betraf die Errichtung von „11 Wohneinheiten und Kinderbetreuung“. Bestandteil des Vorhabens war ein Nutzungskonzept, nach dem in dem Gebäude maximal 14 minderjährige und 11 erwachsene Personen im Rahmen der Hilfen zur Erziehung und der Eingliederungshilfe nach SGB VIII beherbergt werden sollten. Für deren Betreuung sollten in Spitzenzeiten für die Erwachsenen vier und für die Kinder sechs Betreuungspersonen im Schichtdienst rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Diese Betreuer sollten selbst nicht im Gebäude wohnen. Die aufgenommenen Personen sollten aufgrund ihrer psychosozialen und sozioökonomischen Ausgangslage überhaupt erst in die Lage versetzt werden, ein selbständiges Leben zu führen.

Ein Nachbar klagte gegen die darauf erteilte Baugenehmigung unter Berufung auf einen Gebietserhaltungsanspruch. Der Bebauungsplan sah für den Bereich ein reines Wohngebiet vor und erklärte die BauNVO 1968 für anwendbar.

Dem gab das OVG NRW Recht. Insbesondere handele es sich bei dem Vorhaben nicht um eine Wohnnutzung nach der BauNVO 1968, sondern um eine soziale Einrichtung, die dort weder allgemein noch ausnahmsweise genehmigungsfähig ist. Anknüpfungspunkt für die Abgrenzung der Nutzungsarten sei, welches Nutzungskonzept grundsätzlich verwirklicht werden soll und ggf. welche der unterschiedlichen Nutzungsformen dem Vorhaben sein Gepräge gibt.

Auswirkungen für die Praxis

Die Formen der Betreuung von Menschen jenseits von beispielsweise klassischen Altenheimen hat in den vergangenen Jahrzehnten vielfältige Formen angenommen. Damit wird dem Wunsch in der Gesellschaft entsprochen, Betreuungsformen zu finden, die so viel Autonomie für jeden Einzelnen wie möglich erhalten. Die sich daraus ergebenden bodenrechtlichen Konflikte zwischen den unterschiedlichen Wohn- und Betreuungsformen einerseits und den Ansprüchen der Wohnungsbebauung in der Umgebung andererseits müssen im Einzelfall betrachtet und gelöst werden.

In dem vorliegenden Fall kam noch hinzu, dass durch den Verweis im Bebauungsplan auf die BauNVO 1968 ein städtebauliches Nutzungsverständnis Anwendung findet, das über 50 Jahre alt ist. Auf diesen Umstand sollten Vorhabenträger auch in der Praxis achten.

Es ist davon auszugehen, dass der Wunsch in der Gesellschaft nach flexiblen Betreuungszeiten, die sich mit dem Wohnen durchmischen, verstärkt auftreten wird.