BGH: Keine Verpflichtung des Gerichts zur Mitteilung seiner vorläufigen Beweiswürdigung

Die bislang offengelassene Frage, ob das Gericht nach § 279 Abs. 3 ZPO allgemein die Beweise unmittelbar im Anschluss an eine Beweisaufnahme zu würdigen, das Ergebnis den Parteien zu offenbaren und ggf. die Benennung weiterer Beweismittel anzuregen hat, ist nun höchstrichterlich entschieden. Mit Urteil vom 15.04.2016 (Az. V ZR 42/15) hat der BGH entschieden, dass § 279 Abs. 3 ZPO das Gericht grundsätzlich nicht dazu verpflichtet, im Anschluss an die Beweisaufnahme seine vorläufige Beweiswürdigung mitzuteilen, um der Partei Gelegenheit zu geben, weitere Beweismittel anzubieten.

Sachverhalt

Der Entscheidung lag ein Fall zugrunde, bei dem die Klägerin und die Beklagte durch ein Erbbaurecht vertraglich miteinander verbunden waren. Die Klägerin verlangte von der Beklagten die Zustimmung zur Vertragsanpassung durch Herabsetzung des vereinbarten Erbbauzinses mit der Begründung, der Betrieb eines Warenhauses auf dem Nachbargrundstück, der zwischenzeitlich eingestellt worden war, sei Geschäftsgrundlage des Erbbaurechtsvertrages gewesen. Nachdem Landgericht und Oberlandesgericht die Klage abgewiesen bzw. die Berufung zurückgewiesen hatten, verfolgte die Klägerin ihr Begehren mit der Revision vor dem Bundesgerichtshof weiter.

Die Entscheidung

Der BGH hat die Revision zurückgewiesen. In der Sache hat er einen Anspruch der Klägerin auf Vertragsanpassung abgelehnt.

Beachtung verdient die mit der Revision geltend gemachte Rüge der Zurückweisung eines Beweisantrags, die in 2. Instanz neu benannten Zeugen zu vernehmen. Die Berufungsinstanz hatte den Beweisantrag mit der Begründung zurückgewiesen, dass eine Partei grundsätzlich gehalten sei, alle Zeugen, auf die sie sich berufen will, sogleich zu benennen, und dass es ihr nicht gestattet sei, einzelne Beweismittel zurückzuhalten, um diese je nach dem Erfolg der Beweisaufnahme sukzessive in den Prozess einzuführen. Die Partei handele, so das Berufungsgericht weiter, auch nachlässig im Sinne des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO, wenn sie Beweismittel, die ihr bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen, nicht bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in I. Instanz benennt.

Diese Begründung ist nach Auffassung des BGH für die Zurückweisung des Beweisantrags unzureichend.

Nach § 279 Abs. 3 ZPO hat das Gericht im Anschluss an die Beweisaufnahme nicht nur den Sach- und Streitstand, sondern – soweit möglich – auch das Ergebnis der Beweisaufnahme mit den Parteien zu erörtern. Ob nach dieser Vorschrift das Gericht den Parteien nicht nur Gelegenheit zur Erörterung des Beweisergebnisses zu geben hat, sondern ihnen auch eine zumindest vorläufige Beweiswürdigung mitteilen muss, war bislang streitig.

Nach einer Ansicht ist das Gericht, falls es den Beweis als nicht erbracht ansieht, nach § 279 Abs. 3 ZPO verpflichtet, der beweisbelasteten Partei einen entsprechenden Hinweis gemäß § 139 Abs. 1 ZPO zu erteilen. Dem steht die Auffassung gegenüber, dass die Verfahrensvorschrift das Gericht zwar verpflichte, das Ergebnis der Beweisaufnahme unter Hinweis auf die von ihm für wesentlich erachteten Aspekte zu erörtern und den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, die Norm aber das Gericht grundsätzlich nicht zu einer eigenen Beweiswürdigung im Anschluss an die Beweisaufnahme und zu deren Bekanntgabe an die Parteien zwinge. Diese Auffassung hält einen richterlichen Hinweis nach § 139 Abs. 1 ZPO lediglich dann für erforderlich, wenn eine entsprechende Würdigung des Gerichts erst im Urteil, dass der Beweis nicht geführt sei, eine für die Partei unzulässige Überraschungsentscheidung darstelle.

Für den Fall einer unzulässigen Überraschungsentscheidung hatte der BGH eine Hinweispflicht ebenfalls bereits seit längerem bejaht. Offengelassen hatte er jedoch die Frage, ob das Gericht allgemein die Beweise unmittelbar im Anschluss an eine Beweisaufnahme zu würdigen, das Ergebnis den Parteien zu offenbaren und ggf. die Benennung weiterer Beweismittel anzuregen habe.

Der 5. Zivilsenat hat diese Frage nunmehr dahingehend entschieden, dass § 279 Abs. 3 ZPO das Gericht grundsätzlich nicht verpflichtet, im Anschluss an die Beweisaufnahme seine vorläufige Beweiswürdigung mitzuteilen, um den Parteien damit Gelegenheit zu geben, weitere Beweismittel anzubieten. Zur Begründung hat der BGH angeführt, dass bereits nach dem Wortlaut der Norm („soweit bereits möglich“) keine allgemeine Hinweispflicht im Sinne des § 139 Abs. 1 ZPO bestehen kann. Zudem würde nach der Auffassung des BGH der Grundsatz unterlaufen, dass die Partei ihre Zeugen zu einem Beweisthema dem Gericht rechtzeitig vor dem zur Beweisaufnahme bestimmten Termin zu benennen hat und ihre Beweismittel nicht sukzessive – je nach dem Ergebnis der richterlichen Beweiswürdigung – in den Rechtsstreit einführen darf. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber beabsichtigt hätte, in der 1. Instanz Erleichterungen bei der Pflicht zur rechtzeitigen Beibringung der Angriffs- und Verteidigungsmittel einzuführen, gibt es nach Auffassung des BGH nicht.

Im Zuge der Änderung des § 279 Abs. 3 ZPO durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27.07.2001 sind insbesondere die in diesem Zusammenhang einschlägigen Vorschriften über die Rechtzeitigkeit des Vorbringens (§ 282 Abs. 1 ZPO) und die Präklusion verspätet vorgebrachter Angriffs- und Verteidigungsmittel (§ 296 Abs. 1 und 2 ZPO) unverändert geblieben. Der Gesetzgeber hatte danach also nicht den Willen, eine „schrittweise“ Einführung der Beweismittel durch die Parteien unter Aufweichung der zivilprozessualen Pflicht zur rechtzeitigen Beibringung der Angriffs- und Verteidigungsmittel zu fördern.

Autorin:
Rechtsanwältin Dr. Hanna Herberz
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