Anmietung zur Unterbringung von Flüchtlingen ist keine Wohnraummiete

Kann in einem als „Wohnraummietvertrag“ bezeichneten Vertrag, der zum Zweck der Unterbringung von Flüchtlingen über Wohnraum geschlossen wird, das Recht zur ordentlichen Kündigung für die Dauer von fünf Jahren wirksam ausgeschlossen werden? Mit dieser Frage setzte sich der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 23. Oktober 2019, Az. XII ZR 125/18, auseinander.

Der Fall

Die Beklagte mietete von den Klägern mit einem als „Wohnraummietvertrag“ überschriebenen Vertrag vom 26. Januar 2016 ein Wohnhaus, in dem die Beklagte beabsichtigte, Flüchtlinge unterzubringen. § 4 des Mietvertrages enthielt u. a. folgende Regelung:

„Abweichend von § 3 wird das Recht beider Mietvertragsparteien zur ordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses für die Dauer von 5 Jahren ab Abschluss des Vertrages ausgeschlossen […].“

Aufgrund des Rückgangs der Flüchtlingszahlen im Jahr 2016 kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 17. Januar 2017 das Mietverhältnis zum 30. April 2017. Ab Mai 2017 zahlte sie keine Miete mehr. Sie vertrat dabei die Auffassung, der Kündigungsausschluss in § 4 des Mietvertrages sei nach § 307 Abs. 1 BGB wegen unangemessener Benachteiligung unwirksam. Die Kläger erhoben Klage auf Zahlung rückständiger Mieten für die Monate Mai bis Dezember 2017.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der BGH gab den Klägern Recht. Das Mietverhältnis sei durch die Kündigung der Beklagten vom 17. Januar 2017 nicht beendet worden. Den Klägern stehe daher weiterhin ein Anspruch auf Mietzahlung zu. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei der von den Mietvertragsparteien in § 4 des Mietvertrages vereinbarte Kündigungsausschluss auch wirksam. Dabei könne dahinstehen, ob diese Regelung zwischen den Vertragsparteien individualvertraglich ausgehandelt worden sei oder ob es sich um eine formularmäßige Vertragsklausel handele, die der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB unterliege.

Nehme man an, dass der in § 4 des Mietvertrages geregelte Kündigungsausschluss zwischen den Mietvertragsparteien individualvertraglich vereinbart worden sei, stehe die Wirksamkeit dieser Klausel außer Frage. Der vereinbarte Kündigungsausschluss sei aber auch dann wirksam, wenn man mit der Revision davon ausgehe, dass es sich bei § 4 des Mietvertrages um eine „Allgemeine Geschäftsbedingung“ handele, weil die Klausel der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB standhalte.

Zwar würde ein formularvertraglich vereinbarter Kündigungsausschluss, der die Dauer von vier Jahren übersteigt, den Mieter entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen und daher gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam sein – dies gelte jedoch nur für Wohnraummietverhältnisse. Bei dem streitgegenständlichen Mietverhältnis handele es sich aber nicht um ein Wohnraummietverhältnis, sondern um ein allgemeines Mietverhältnis gemäß § 535 BGB. Das Vertragsformular sei zwar als „Wohnraummietvertrag“ überschrieben worden. Bei der Entscheidung der Frage, ob ein Mietverhältnis über Wohnraum vorliegt, sei jedoch auf den Zweck abzustellen, den der Mieter mit der Anmietung des Mietobjekts vertragsgemäß verfolge. Wohnraummiete liege vor, wenn die Räume dem Mieter vertragsgemäß zur Befriedigung seiner eigenen Wohnbedürfnisse und/oder der Wohnbedürfnisse seiner Familie dienen sollen. Erfolge die Vermietung dagegen zu Zwecken, die keinen unmittelbaren Wohnraumcharakter haben, sei allgemeines Mietrecht maßgebend.

Die Beklagte habe die Immobilie angemietet, um dort den Wohnbedarf der ihr zugewiesenen Flüchtlinge decken zu können. Der Zweck der Anmietung sei deshalb nicht darauf gerichtet, selbst die Räume zu Wohnzwecken zu nutzen, zumal eine juristische Person keinen eigenen Wohnbedarf haben könne.

Bei Formularverträgen über allgemeine Mietverhältnisse sei eine mehrjährige Bindung für sich genommen nicht als unangemessene Benachteiligung des anderen Teils zu werten. Mietverträge seien als typische Dauerschuldverhältnisse regelmäßig auf eine längere Laufzeit angelegt; gesetzliche Bestimmungen, die die Länge der Vertragsdauer beschränken, gebe es dabei nicht. Anders als beim Mieter von Wohnraum bestehe bei der Beklagten auch kein Mobilitätsinteresse, das eine Beschränkung der Dauer des Kündigungsausschlusses rechtfertigen könne. Die Beklagte als Träger der öffentlichen Verwaltung habe vielmehr im Rahmen der Planung der ihr obliegenden Aufgabe, die ihr zugewiesenen Flüchtlinge mit Wohnraum zu versorgen, bereits bei Vertragsabschluss entscheiden können, für welche Dauer sie die Räume anmieten will. Deshalb werde die Beklagte jedenfalls durch eine Bindung an den Mietvertrag für die Dauer von fünf Jahren nicht unangemessen benachteiligt.

Praxishinweis

Bei der Frage, ob ein Mietvertrag als Wohnraummietvertrag zu qualifizieren ist, ist stets auf den Zweck abzustellen, den der Mieter mit der Anmietung vertragsgemäß verfolgt. Nur wenn die Anmietung zum Zweck des eigenen Wohnens oder des Wohnens durch Angehörige erfolgt, liegt ein Wohnraummietverhältnis vor. Da es sich nach diesen Grundsätzen vorliegend nicht um einen Wohnraummietvertrag, sondern um ein allgemeines Mietverhältnis handelte, war der vereinbarte Kündigungsverzicht für die Dauer von fünf Jahren wirksam. Die Vier-Jahres-Beschränkung gilt nur für Wohnraummietverhältnisse (BGH, Urt. v. 2.3.2011, Az. VIII ZR 163/10). Individualvertraglich können aber auch die Parteien von Wohnraummietverträgen auf das Recht zur ordentlichen Kündigung für längere Zeit oder sogar dauerhaft verzichten.