Minimierung des Annahmeverzugsrisikos durch Auskunftsanspruch über Vermittlungsangebote

Grundsätzlich besteht auf Arbeitgeberseite für die Dauer eines Kündigungsschutzprozesses das Risiko, bei einer Niederlage Annahmeverzugslohn zahlen zu müssen. Auf diesen muss sich der Arbeitnehmer gem. § 11 Nr. 2 KSchG denjenigen Erwerb anrechnen lassen, dessen Erzielung er böswillig unterlassen hat. Es ist dem Arbeitgeber jedoch in den seltensten Fällen möglich, darzulegen und zu beweisen, dass der Arbeitnehmer passende Verdienstmöglichkeiten tatsächlich nicht wahrnahm. Dies hat sich nunmehr durch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 27.05.2020 (5 AZR 387/19) geändert, nach der ein Arbeitgeber einen Auskunftsanspruch hinsichtlich etwaig von der Agentur für Arbeit dem Arbeitnehmer übermittelter Vermittlungsvorschläge gegen diesen geltend machen kann.

Der Sachverhalt

Der Kläger wandte sich mit einer Kündigungsschutzklage erfolgreich gegen die ihm gegenüber ausgesprochene Kündigung der Beklagten, bei der er als Bauhandwerker beschäftigt ist. Die Beklagte machte sodann im Wege der Widerklage einen Anspruch auf Auskunft über die ihm von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter übermittelten Stellenangebote gegen den Kläger geltend.

Die Entscheidung

Das Arbeitsgericht gab der Widerklage der Beklagten statt. Das Landesarbeitsgericht sowie das Bundesarbeitsgericht wiesen die jeweils vom Kläger eingelegten Rechtsmittel zurück.

Der Fünfte Senat hält an der bisherigen Rechtsprechung des Neunten Senats vom 16.05.2000 (9 AZR 203/99) nicht länger fest und gewährt dem Arbeitgeber einen Auskunftsanspruch gegen den Arbeitnehmer, der sich aus einer Nebenpflicht des Arbeitnehmers gem. § 242 BGB ergibt. Danach hat der Arbeitnehmer den Arbeitgeber auf Verlangen über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter übermittelten Vermittlungsvorschläge unter Nennung der Tätigkeit, des Arbeitsorts und der Vergütung zu informieren. Weil die Agentur für Arbeit als auch das Jobcenter nach § 35 Abs. 1 SGB III bzw. § 1 Abs. 3 Nr. 2 SGB II verpflichtet sind, dem Arbeitssuchenden Vermittlungsvorschläge zu machen, sei die böswillige Unterlassung anderweitigen Erwerbs auch nicht unwahrscheinlich. Der Arbeitgeber jedoch besitzt ohne Verschulden keine Kenntnis von dem Vorliegen anderweitiger Erwerbsmöglichkeiten, während der Arbeitnehmer darüber unschwer Auskunft geben kann. Wegen des Sozialgeheimnisses (§ 35 SGB I) hat der Arbeitgeber keinen Anspruch auf Mitteilung gegen die Agentur für Arbeit oder das Jobcenter.

Eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erfolgte insbesondere auch wegen der Einführung des § 2 Abs. 5 SGB III, nach dem ein Arbeitnehmer zur aktiven Mitarbeit bei der Vermeidung oder Beendigung von Arbeitslosigkeit angehalten ist.

Praxishinweis

Die Entscheidung ist zu begrüßen. Ohne den Auskunftsanspruch gegen den Arbeitnehmer würde die Regelung über die Anrechnung böswillig unterlassenen Erwerbs nach § 11 Nr. 2 KSchG für den Arbeitgeber weiterhin quasi bedeutungslos bleiben, weil es ihm in der weit überwiegenden Anzahl der Fälle nicht möglich sein wird, diese Tatsache nachzuweisen.

Das Annahmeverzugsrisiko wird durch die Möglichkeit der erfolgreichen Geltendmachung des Auskunftsanspruchs erheblich minimiert und führt dazu, dass der Arbeitnehmer in einem Prozess darlegen und beweisen müsste, dass die Vermittlungsvorschläge nicht zumutbar waren. Im Ergebnis könnte die Entscheidung darüber hinaus zur Folge haben, dass sich gekündigte Arbeitnehmer intensiver mit Stellenangeboten auseinandersetzen und nicht länger allein auf eine Zahlung von Annahmeverzugslohn durch den Arbeitgeber vertrauen.