Mit Beschluss vom 19.10.2023 (Az. 3194.Z3-3_01-23-20) entschied die Vergabekammer Südbayern, dass eine bereits seit drei Jahren laufende Vergabe für den Bau und Betrieb von E-Ladesäulen in München in den „Stand vor Auftragsbekanntmachung“ zurückversetzt – also neu ausgeschrieben – werden muss. Der Grund: Es wurde aufgrund einer unzureichenden Markterkundung fälschlicherweise ein Dienstleistungsauftrag und keine Dienstleistungskonzession ausgeschrieben. Die Marktlage darf auch nicht erst während des Vergabeverfahrens herausgefunden werden.
SACHVERHALT
Die Stadt München hatte mit Auftragsbekanntmachung vom 03.06.2020 einen Dienstleistungsauftrag über die Errichtung und den Betrieb von Ladeeinrichtungen im öffentlichen Raum im Wege eines Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb ausgeschrieben. Das Angebot eines Bieters wurde von der Stadt München nach § 60 Abs. 3 S. 1 VgV mit der Begründung, der ungewöhnlich niedrige Preis könne trotz Aufklärungsersuchens nicht erklärt werden, von der Wertung ausgeschlossen. Daraufhin stellte der Bieter nach erfolgloser Rüge einen Nachprüfungsantrag gemäß § 160 Abs. 1 GWB, über den die Vergabekammer zu entscheiden hatte.
DIE ENTSCHEIDUNG
Dem Beschluss der Vergabekammer nach hätte eine Dienstleistungskonzession ausgeschrieben werden müssen; aus den Vergabeunterlagen ergebe sich nämlich nicht, welcher Vertragspartner das Betriebsrisiko übernehme. Im Einzelnen:
Die Auftraggeberin habe die maßgebliche Festlegung wer das Betriebsrisiko tragen soll erst im Rahmen des Vergabeverfahrens herausfinden wollen, obwohl dies vor der Ausschreibung im Rahmen einer Markterkundung hätte erfolgen müssen. Denn anhand dessen entscheide sich das einschlägige Vergaberegime.
Die Abgrenzung einer Dienstleistungskonzession von einem Dienstleistungsauftrag sei anhand von § 105 Abs. 2 GWB vorzunehmen, wonach maßgeblich für eine Dienstleistungskonzession der Übergang des Betriebsrisikos für die Verwertung der Dienstleistungen auf den Konzessionsnehmer ist. Eine Dienstleistungskonzession unterscheide sich von einem Dienstleistungsauftrag dadurch, dass die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistung entweder ausschließlich in dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung oder in diesem Recht zuzüglich der Zahlung eines Preises bestehe. Auch die Zahlung eines Zuschusses hindere grundsätzlich nicht die Annahme einer Dienstleistungskonzession. Ob und inwieweit der Konzessionär bei der Verwertung der ihm übertragenen Leistung tatsächlich den Risiken des Marktes ausgesetzt ist und er das Betriebsrisiko ganz oder zumindest zu einem wesentlichen Teil übernimmt, hängt der Vergabekammer nach von den Umständen des Einzelfalls ab. Maßgeblich sei, ob der Auftragnehmer das Betriebsrisiko vollständig oder zu einem wesentlichen Teil trage.
Zwar sei die Prüfung ungewöhnlich niedriger Angebote in der KonzVgV, anders als bei Verfahren der Vergabe von Dienstleistungsaufträgen (§ 60 VgV), nicht vorgesehen. Allerdings gelte nach § 12 Abs. 1 KonzVgV der Grundsatz der freien Verfahrensgestaltung. Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit, der als allgemeiner vergaberechtlicher Grundsatz auch bei der Vergabe von Konzessionen gelte, gebiete daher die Überprüfung eines ungewöhnlich niedrigen Angebotes auch bei Dienstleistungskonzessionen. Die konkret durchgeführte Preisprüfung sei fehlerhaft, da aufgrund unterschiedlicher Annahmen bezüglich des zu tragenden Betriebsrisikos auch unterschiedliche Kalkulationsgrundlagen zugrunde gelegen hätten, die Angebote seien schon nicht vergleichbar gewesen. Der darauf gegründete Ausschluss des Angebots sei daher nicht rechtmäßig gewesen.
PRAXISHINWEIS UND FAZIT
Vor vergabe- und beihilfenrechtlichen Gesichtspunkten sollte eine Markterkundung unbedingt vor Ausschreibung eines Vergabeverfahrens durchgeführt und abgeschlossen werden (vgl. § 28 Abs. 1 VgV sowie § 20 UVgO). Es bedarf nämlich einer klaren Entscheidung des Auftraggebers vor Ausschreibung hinsichtlich des einschlägigen Vergaberegimes und einer entsprechenden Ausgestaltung der Vergabeunterlagen, entweder auf der Grundlage eines Dienstleistungsauftrages und der Anwendbarkeit der Regelungen der VgV oder einer Dienstleistungskonzession und der Anwendbarkeit der Regelungen der KonzVgV. Will der Auftraggeber einen Zuschuss oder ein Entgelt für die Ladeinfrastruktur gewähren, muss er aus beihilfenrechtlichen Gründen in jedem Fall vorab eine Markterkundung durchführen, um die Erforderlichkeit der Beihilfengewährung in dem liberalisierten Markt für Ladeinfrastrukturen belegen zu können, vgl. Art. 36a Abs. 10 AGVO.
Ein Auftraggeber muss sich dabei im Falle der Ausschreibung von Ladeinfrastruktur entscheiden, entweder kein oder nur ein geringes Entgelt an die Betreiber der Ladeinfrastruktur zu zahlen oder einen echten Dienstleistungsauftrag ohne Betriebsrisiko für die Bieter auszuschreiben. Nicht zulässig ist es jedoch, durch die Verhandlungsrunden die Marktlage und erst dadurch das einschlägige Vergaberegime herauszufinden.