Zum Begriff der Tekturgenehmigung, Abgrenzung zwischen „aliud“ und Änderung

Mit Beschluss vom 19.09.2023 (Az. 15 CS 23.1208) stellt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof Kriterien dar, die eine Abgrenzung zwischen einer Tekturgenehmigung und einem von der ursprünglichen Baugenehmigung erheblich abweichenden „aliud“ ermöglichen.

Der Fall

Die Bauherrin begehrte und erhielt eine Baugenehmigung bezüglich eines Neubaus von drei Mehrfamilienhäusern und Sanierung zweier Bestandsgebäude. Auf Antrag der Bauherrin erging neun Monate später ein Bescheid zur Änderung der ursprünglichen Baugenehmigung (Bescheid a). Weitere fünf Monate später erging ein weiterer Ergänzungsbescheid (Bescheid b). Die Nachbarn der Bauherrin haben gegen die Baugenehmigung sowie gegen den Bescheid b im Hinblick auf den „Neubau 3“ Klage erhoben und zugleich einstweiligen Rechtsschutz beantragt. In der Sache wenden sie sich gegen die Erteilung von Abweichungen hinsichtlich der Nichteinhaltung von Abstandsflächen. Das Verwaltungsgericht Regensburg hat daraufhin im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet. Hiergegen wendet sich die Bauherrin und ist der Auffassung, dass es der Klage bereits am Rechtsschutzbedürfnis fehle, da die ursprüngliche Baugenehmigung bereits durch den Bescheid a erloschen sei und sich erledigt habe. Die Bauherrin erklärte selbst, dass sie von der ursprünglichen Baugenehmigung keinen Gebrauch mehr mache, sondern das Vorhaben alleine gemäß den Vorgaben des Bescheides a umsetzen wolle.

Die Entscheidung

Diese Auffassung der Bauherrin teilt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof nicht. Mit Bescheid a sei kein „aliud“ genehmigt worden, vielmehr handele es sich um eine Änderungs- bzw. Tekturgenehmigung. Diese trete nicht an die Stelle der Baugenehmigung. Vielmehr habe sich die ursprüngliche Genehmigung lediglich hinsichtlich der in der neueren Genehmigung getroffenen Regelungen erledigt. Daran ändere auch die Erklärung der Bauherrin, das Vorhaben entsprechend der Änderungsgenehmigung umsetzen zu wollen, nichts.

Eine Tekturgenehmigung liege vor, wenn die Identität des (genehmigten Vorhabens) gewahrt bliebe. Als für die Identität des Bauvorhabens wesentliche Merkmale seien Standort, Grundfläche, Bauvolumen, Zweckbestimmung, Höhe, Dachform oder Erscheinungsbild maßgeblich. Die Bewertung, ob eine Veränderung die Identität von genehmigten und errichteten Vorhaben aufhebe, hänge vom Umfang der Abweichungen sowie der Bewertung ihrer Erheblichkeit im Einzelfall ab. Maßgebliches Beurteilungskriterium sei, ob durch die Änderung Belange, die bei der ursprünglichen Genehmigung des Vorhabens zu berücksichtigen waren, neuerlich oder andere Belange erstmals so erheblich berührt werden, dass sich die Zulässigkeitsfrage neu stelle.

Im vorliegenden Fall wurde eine Aufhebung der Identität des genehmigten Vorhabens trotz Änderung des Grundrisses und Veränderung der Lärmimmissionen verneint. Das ursprüngliche Erscheinungsbild bleibe im Wesentlichen erhalten, auch die Identität des Bauvorhabens ändere sich nicht, da die Höhe, die Dachform und die Zweckbestimmung des Vorhabens (Wohnbebauung mit Stellplätzen) unverändert blieben. Es seien durch die Abweichung keine Belange erstmals oder zusätzlich derart erheblich berührt, dass sich die Zulässigkeitsfrage neu stelle. Der Verzicht der Bauherrin auf die ursprüngliche Baugenehmigung sei so zu verstehen, dass sie das Vorhaben in der durch den Bescheid a geänderten Form ausführen möchte. Anderenfalls würde bei Rückgabe der Baugenehmigung aufgrund der untrennbaren Verbindung mit der Änderungsgenehmigung ohne Genehmigung gebaut werden.

Praxishinweis

Die vorstehende Entscheidung des VGH Bayern zeigt auf, dass stets genau am Einzelfall anhand der o. g. Kriterien geprüft werden muss, ob eine geplante Änderung die Identität des Vorhabens berührt. Eine Fehleinschätzung der Bauherrin/des Bauherrn kann weitreichende Folgen haben; im schlimmsten Fall droht ein Bauen ohne Baugenehmigung.

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Maike Schiffer

Maike Schiffer

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