Erkennbarkeit einer vergaberechtswidrigen Umrechnungsmethode

In seinem Beschluss vom 01.03.2021 – 7 Verg 1/21 – hat sich das OLG Naumburg mit der in der Praxis höchstrelevanten Frage auseinandergesetzt, inwieweit das Vorliegen einer vergaberechtswidrigen Umrechnungsmethode für den fachkundigen Bieter bereits bei Ablauf der Angebotsfrist als erkennbar im Sinne des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 2 und 3 GWB eingestuft werden kann.

Der Fall

Der Auftraggeber (AG) schrieb die Lieferung mobiler Fahrkartenautomaten im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb europaweit aus. Nach Prüfung und Bewertung der Teilnahmeanträge forderte er fünf Unternehmen zur Angebotsabgabe auf, darunter auch die Antragstellerin und die später bezuschlagte Beigeladene. Die den Bietern zur Verfügung gestellten Vergabeunterlagen enthielten u. a. Informationen zur Auswahl des wirtschaftlichsten Angebots, das unter Berücksichtigung der Zuschlagskriterien Preis (zu 40 %) und Qualität (zu 60 %) ermittelt werden sollte. Ausweislich der Ausschreibungsunterlagen war für die Bewertung des Angebotspreises eine stufenweise Punktevergabe vorgesehen: Das niedrigste Angebot sollte 100 % der Maximalpunktzahl (16 Punkte), das zweitplatzierte 75 % (zwölf Punkte), das drittplatzierte 50 % (acht Punkte), das viertplatzierte 25 % (vier Punkte) und alle weiteren 0 % (null Punkte) erhalten.

Im Rahmen der Auswertung vergab die Auftraggeberin auf das Angebot der Beigeladenen die höchste Punktzahl. Das zweitplatzierte Angebot der Antragstellerin lag lediglich im Hinblick auf den Preis hinter dem erstplatzierten Angebot. In einzelnen Kategorien, die die Qualität des Angebots betrafen, konnte die Antragstellerin sogar eine höhere Punktzahl erreichen.

In dem auf die Zuschlagsankündigung folgenden Nachprüfungsverfahren rügte die Antragstellerin u. a. die Preisbewertungsmethode. Die Vergabekammer verwarf den Antrag mit Hinweis auf die Präklusion der Rüge als unzulässig, da der vermeintliche Verstoß gegen den Wettbewerbsgrundsatz für einen fachkundigen Bieter erkennbar gewesen sei. Hiergegen wendete sich die Antragstellerin mit sofortiger Beschwerde.

Entscheidung

Die Beschwerde blieb jedoch erfolglos. In seiner Entscheidung bestätigte das OLG Naumburg das Vorliegen einer Rügepräklusion gem. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB aufgrund der Erkennbarkeit der vergaberechtswidrigen Preisumrechnungsmethode. Eine Rüge hätte bereits bis zum Ablauf der Angebotsfrist erfolgen müssen.

Nach Ansicht des OLG Naumburg komme es bei der Beurteilung der Erkennbarkeit darauf an, was ein fachkundiges Unternehmen des angesprochenen Bieterkreises bei Anwendung der im Vergabeverfahren üblicherweise anzuwendenden Sorgfalt zu erkennen vermag. Die erforderliche Erkennbarkeit beziehe sich dabei auch auf eine rechtliche – wenn auch nur laienhafte – Beurteilung der Vergabeunterlagen im Hinblick auf mögliche Ungereimtheiten oder Wettbewerbsverzerrungen. Insoweit dürften jedoch keine überzogenen Anforderungen an die Rechtskenntnisse der Wirtschaftsteilnehmer gestellt werden. Insofern müsse für die Begründung einer Rügeobliegenheit auch keine rechtliche Gewissheit vorliegen. Vielmehr genüge bereits eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass die konkrete Maßnahme des Auftraggebers vergaberechtswidrig sei.

Für das OLG Naumburg war hier bei der Prüfung der Erkennbarkeit der vergaberechtswidrigen Umrechnungsmethode entscheidend, dass sich die hiesige Ausschreibung an eine relativ überschaubare Anzahl von hochspezialisierten Unternehmen richtete, die einen bedeutenden Anteil ihres Umsatzes mit öffentlichen Aufträgen erwirtschaften. Nach Auffassung des Gerichts sei es vor allem für derart fachkundige Bieter ohne Weiteres erkennbar, ob eine vom AG in höchstmöglichem Maße transparent gemachte Bewertungsmethode dazu führen könne, dass Preisabstände nicht in adäquate Punkteabstände umgesetzt werden und sich dies u. U. nachteilig auswirken kann.

Folgen für die Praxis

In Bezug auf Bewertungsmethoden geht die Rechtsprechung überwiegend davon aus, dass deren (vermeintliche) Vergaberechtswidrigkeit für den durchschnittlichen fachkundigen Bieter nicht erkennbar sei. Dies wird vor allem damit begründet, dass die Frage, wie Preise zulässigerweise im Rahmen von Gewichtungen und Wertungsformeln in Punkte umgerechnet werden dürfen, komplex und nicht normativ geregelt sei (vgl. etwa BKartA, Beschluss vom 24.10.2014 – VK 2-85/14; VK Bund, Beschluss vom 11.02. 2019 – VK 2-2/19; VK Südbayern, Beschluss vom 24.07.2015 – Z3-3-3194-1-28-04/15 und vom 30.08.2016 – Z3-3-3194-1-28-07/16). Hiervon dürfte auch weiterhin – jedenfalls im Grundsatz – auszugehen sein. Das Urteil des OLG Naumburg zeigt jedoch, dass es hiervon auch Ausnahmen geben kann – insbesondere, wenn sich die Ausschreibung an einen Bieterkreis bestehend aus hochspezialisierten und mit ähnlichen Ausschreibungen vertrauten Unternehmen richtet (so bereits auch VK Bund, Beschluss vom 23.12.2020 – VK 1-104/20).

Vor dem Hintergrund der bestehenden Rechtsunsicherheiten sind Unternehmen somit gut beraten, sich eingehend mit den Vergabeunterlagen und deren Vergaberechtskonformität zu beschäftigen. Im Falle ersichtlicher Ungereimtheiten bedarf es einer frühzeitigen Entscheidung darüber, ob ein Vergaberechtsverstoß des Auftraggebers hingenommen oder ob dieser gerügt werden sollte. Insbesondere für solche Bieter, die aufgrund ihrer häufigen Teilnahme an Ausschreibungen als hochspezialisierte Unternehmen zu qualifizieren sind, ist eine sorgfältige Prüfung unerlässlich.

Gleichzeitig wird trotz unterbliebener Entscheidung in der Sache die Wichtigkeit der Verwendung vergaberechtskonformer Wertungsmethoden für den Auftraggeber verdeutlicht. Eine Wertungsmethode, die – wie die hier angegriffene – die relativen Preisabstände zwischen den Angeboten nicht angemessen bei der Punkteverteilung berücksichtigt, ist aufgrund der hierdurch eintretenden Wettbewerbsverzerrungen nach insoweit gefestigter Rechtsprechung nicht mehr als mit dem Gleichbehandlungs- und Wettbewerbsgrundsatz des § 97 Abs. 5 GWB vereinbar anzusehen (vgl. VK Bund, Beschluss vom 24.10.2014 – VK 2-85/14; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.04.2015 – Verg 35/14: VK Südbayern, Beschluss vom 24.07.2015 – Z3-3-3194-1-28-04/15).

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Max Burmeister, LL.M.

Max Burmeister, LL.M.

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