Sehen öffentliche Auftraggeber trotz Vorliegen eines fakultativen Ausschlussgrundes von einem Ausschluss aus dem Vergabeverfahren ab, muss diese Entscheidung nicht nur begründet, sondern auch den übrigen Bewerbern und Bietern mitgeteilt werden. Das hat der EuGH hat in seinem Urteil vom 21.12.2023 (C-66/22 – „Futrifer Industrias“) entschieden und eröffnet damit den anderen Bietern die Möglichkeit, gegen solche Entscheidungen vorzugehen. Dem Ausgangsverfahren vor dem Obersten Verwaltungsgericht in Portugal lag die Vergabe eines Auftrags über die Lieferung von Bolzen und Eisenbahnschwellen zugrunde.
Der EuGH stellt fest, dass grundsätzlich im Falle des Ausschlusses eines Bieters aufgrund eines fakultativen Ausschlussgrundes nach Art. 57 Abs. 4 Richtlinie 2014/24/EU – im deutschen Recht § 124 Abs. 1 GWB – eine Begründungspflicht besteht. Damit werde dem entsprechenden Bieter ermöglicht, seine Rechte geltend zu machen und in Kenntnis der Gründe gegen die Ausschlussentscheidung vorzugehen.
Neu und besonders interessant für die Vergabepraxis ist nun aber, dass der EuGH in diesem Zusammenhang ausdrücklich das Bestehen der Begründungspflicht auch für den Fall hervorhebt, in dem der Auftraggeber zwar feststellt, dass ein fakultativer Ausschlussgrund vorliegt, aber gleichwohl entscheidet, den Bieter nicht auszuschließen. Da eine solche Entscheidung die Rechte aller am Verfahren beteiligten Bieter berühre, müsse sie an eben jene auch mitgeteilt werden, damit diese „ihre Rechte geltend machen“ und gegebenenfalls entscheiden können, „mit einer Klage gegen die Entscheidung vorzugehen“. Die Begründung, von einem Ausschluss abzusehen, „kann insoweit in die abschließende Entscheidung über die Vergabe des Auftrages an den ausgewählten Bieter aufgenommen werden“.
Die Feststellung eines fakultativen Ausschlussgrundes und die Begründung für das Absehen von einem Ausschluss müssen daher künftig spätestens in das Vorabinformationsschreiben nach § 134 Abs. 1 GWB aufgenommen werden. Für die Praxis bedeutet dies, dass künftig die Entscheidung über das Absehen von einem Angebotsausschluss keine rein interne Prüfung des Auftraggebers mehr darstellt, sondern spätestens im Vorinformationsschreiben den übrigen Bietern gegenüber eröffnet und begründet werden muss. Bei einem zweistufigen Verfahren kann es sich sogar anbieten, dieser Informationspflicht bereits zu einem früheren Verfahrenszeitpunkt – etwa mit dem Abschluss des Teilnahmewettbewerbs – nachzukommen, um hierdurch die Rügeobliegenheit der Unternehmen auszulösen und möglichen Verfahrensverzögerungen durch einen Nachprüfungsantrag kurz vor Abschluss des Verfahrens vorzubeugen. Betroffene Unternehmen müssen sich auf eine deutlich größere Öffentlichkeit der von ihnen verwirklichten Ausschlusstatbestände einstellen. Eine größere Streitdichte dürfte vorprogrammiert sein.