Die Abhilfeklage – Ein neues Kapitel für Massenverfahren?

Steht Deutschland eine neue Klagewelle bevor? Diese Frage dürfte zahlreiche Unternehmen beschäftigen.

Mit der Verabschiedung des Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetzes (VRUG) am 7. Juli 2023 hat der Deutsche Bundestag den Weg für die sogenannte Abhilfeklage geebnet. Als neues Instrument in Massenverfahren soll diese nicht nur Verbraucherrechte stärken, sondern die Justiz und auch die Unternehmen vor einer Vielzahl von Individualklagen bewahren. Aufgrund der notwendigen Mitwirkung des Bundesrates wird das Gesetz voraussichtlich erst im September in Kraft treten. Allerdings lohnt es sich bereits jetzt, die neuen Regelungen im Blick zu behalten. In diesem Beitrag erfahren Sie, welche Auswirkungen die neue Abhilfeklage mit sich bringen könnte und auf welche Regelungen es besonders ankommt.

Hintergrund

Bislang steht in Deutschland bei kollektiven Masseverfahren nur die Musterfeststellungsklage zur Verfügung. Damit können jedoch keine vollstreckbaren Leistungsansprüche eingeklagt werden. Stattdessen kann lediglich die Feststellung eines Anspruchs bzw. einzelner Anspruchsvoraussetzungen verfolgt werden, sodass die betroffenen Kläger im Falle eines Obsiegens weiterhin ein individuelles Gerichtsverfahren gerichtet auf Leistung anstreben müssen.

Dies soll sich nun mit der Abhilfeklage ändern. Verbraucher erhalten hierbei die Möglichkeit, sich einer von einem qualifizierten Verbraucherverband zu erhebenden Klage anzuschließen und bereits aus dem entsprechenden Verbandsurteil eine Leistung zu erhalten. Ebenso anschließen können sich kleinere Unternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern, deren Jahresbilanz 2 Mio. Euro nicht übersteigt. Das Gesetz in seiner verabschiedeten Form enthält im Vergleich zum vorher beschlossenen Regierungsentwurf sowie zum Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums einige wichtige Änderungen. Im Ergebnis dürfte es sich als äußerst verbraucherfreundlich beschreiben lassen.

Die wesentlichen Bestimmungen

Besonderes Augenmerk sollte den folgenden Bestimmungen gelten:

  • Klagebefugnis

Zunächst ist zu beachten, dass nicht die Verbraucher selbst klagen, sondern ähnlich wie bei der Musterfeststellungsklage qualifizierte, zugelassene Verbraucherschutzverbände. Diese dürfen nicht mehr als 5 % ihrer finanziellen Mittel aus Unternehmenszuwendungen beziehen und müssen seit mindestens einem Jahr vor Klageerhebung in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragen sein. Der Referentenentwurf hatte hier noch eine Eintragungsdauer von vier Jahren vorgesehen. Durch die verkürzte Dauer können Verbände nun kurzfristig und anlassbezogen innerhalb der regelmäßigen dreijährigen Verjährungsfrist gegründet werden. Wichtig ist außerdem, dass auch Verbände aus anderen EU-Mitgliedsstaaten klagebefugt sind.

Insgesamt sind die Anforderungen an die Klagebefugnis im Vergleich zum ursprünglichen Referentenentwurf deutlich gesenkt worden.

  • Gleich gelagerte Fälle

Die verfolgten Ansprüche müssen weiterhin gemäß § 15 Abs. 1 S. 1 VDuG „im Wesentlichen gleichartig sein“. Ausreichend ist dabei bereits, wenn die Ansprüche auf demselben oder auf einer Reihe vergleichbarer Sachverhalte beruhen und im Wesentlichen die gleichen Tatsachen- bzw. Rechtsfragen entscheidungserheblich sind. Hier könnten sich für die Gerichte angesichts des relativ weitgefassten Wortlauts die meisten Fragen aufwerfen.

  • Betroffenheit „nachvollziehbar darlegt“

Der Kläger muss die Betroffenheit „nachvollziehbar“ darlegen, § 4 Abs. 1 VDuG. Auch diese Bestimmung stellt im Vergleich zu den vorherigen Entwürfen insgesamt eine deutliche Erleichterung für die Verbraucher dar. Selbst im Regierungsentwurf war noch vorgesehen, dass Ansprüche von mindestens 50 Verbrauchern betroffen sein müssen.

  • Verlängerte Anmeldefrist

Die Verbraucher müssen sich der Klage außerdem durch eine Anmeldung im Verbandsklageregister beim Bundesamt für Justiz anschließen. Die Anmeldung ist dabei gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 VDuG noch drei Wochen nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung möglich (sogenanntes „Opt-In Verfahren“). Trotz der zahlreich geäußerten Kritik bleibt damit für Unternehmen das Problem, dass Vergleichsverhandlungen schwierig zu planen und durchführen sein dürften, da nicht absehbar ist, wie viele Verbraucher sich am Ende anschließen könnten.

Ablauf des Klageverfahrens

Die Abhilfeklage durchläuft grundsätzlich drei Phasen, wobei es gemäß § 16 VDuG unterschiedliche Modelle gibt. Der klassische Fall, bei dem der Verband Leistung an namentlich nicht benannte Verbraucher begehrt, lässt sich im Wesentlichen wie folgt zusammenfassen:

  1. Zunächst wird in Phase 1 durch das Gericht im Wege eines Abhilfegrundurteils entschieden, ob die geltend gemachten Ansprüche dem Grunde nach bestehen und nach welchen Kriterien die Anspruchsberechtigung der einzelnen Verbraucher im späteren Umsetzungsverfahren zu bestimmen sind. Zuständig ist dabei ähnlich wie bei Musterfeststellungsklagen das jeweilige Oberlandesgericht im Gerichtsbezirk des beklagten Unternehmens. In dieser Phase melden sich die Verbraucher für die Klage an. Gegen das Grundurteil können sowohl die Verbände als auch die beklagten Unternehmen Revision beim BGH einlegen.
  2. In Phase 2 sollen sodann, wenn das Grundurteil zulasten des beklagten Unternehmens ergangen ist, Vergleichsverhandlungen angestrebt werden. Kommt es zu einer Einigung zwischen Verband und Unternehmen, muss das Gericht diesem zunächst noch zustimmen und dabei prüfen, ob der Vergleich für die betroffenen Verbraucher eine angemessene Lösung darstellt.
  3. Kommt hingegen keine Einigung zustande, ergeht in Phase 3 ein sogenanntes Abhilfeendurteil. Hierbei wird das Unternehmen zur Zahlung eines kollektiven Gesamtbetrags, welcher seinerseits in einen Umsetzungsfond eingezahlt werden muss, verurteilt. Der Betrag wird dabei vom Gericht geschätzt und setzt sich grundsätzlich aus den im Klageregister eingetragenen Ansprüchen der einzelnen Verbraucher zusammen. Anschließend bestellt das Gericht einen Sachwalter, welcher die Ansprüche nach den vom Gericht bestimmten Berechnungsformeln und Kriterien gegenüber den einzelnen Verbrauchern erfüllen soll.

Gegen die jeweilige Entscheidung des Sachwalters steht den betroffenen Verbrauchern sowie den Unternehmen der Widerspruch offen, wobei der Sachwalter selbst über diesen entscheidet. Eine gerichtliche Überprüfung ist nur in engen Grenzen möglich. Darüber hinaus können die Verbraucher ihre vermeintlichen Forderungen auch weiterhin im Wege der Individualklage geltend machen.

Fazit

Die Einführung der Abhilfeklage als neues Instrument in Masseverfahren ist ein bedeutender Schritt zur Stärkung der Verbraucherrechte. Das deutsche Umsetzungsgesetz geht in vielen Punkten über die Vorgaben der EU-Richtlinie hinaus und bietet beispielsweise eine vergleichsweise längere Anmeldefrist sowie eine breitere Klagebefugnis. Der Gesetzgeber erhofft sich eine Entlastung der Justiz dadurch, dass massenhafte Individualverfahren vermieden werden. Auch sollen Unternehmen durch den Wegfall der ansonsten für Individualverfahren anfallenden Gerichts- und Rechtsanwaltskosten in Höhe von rund 7 Mio. Euro entlastet werden. Andererseits besteht aber die Befürchtung, dass gerade im Hinblick auf die „lockeren“ und verbraucherfreundlichen Prozessvoraussetzungen neue Klagewellen entfacht werden könnten. Im Ergebnis bleibt also abzuwarten, ob die Abhilfeklage tatsächlich zu einer Entlastung führen wird.

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Bogdan Ril

Bogdan Ril

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