Kündigung wegen Äußerungen in einer Chatgruppe

In der Vergangenheit hatte das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass grobe Beleidigungen des Arbeitgebers, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten, eine außerordentliche fristlose Kündigung rechtfertigen können. Dabei sollten bei der rechtlichen Würdigung die Umstände zu berücksichtigen sein, unter denen die betreffenden Äußerungen gefallen sind. Geschah dies in vertraulichen Gesprächen zwischen Arbeitskollegen, sollten sie eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht ohne Weiteres zu begründen vermögen. Das Bundesarbeitsgericht argumentierte damit, dass vertrauliche Äußerungen dem Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unterfallen (vgl. BAG, Urteil vom 10.12.2009 – 2 AZR 534/08).

Nunmehr hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass sich ein Arbeitnehmer nur ausnahmsweise darauf berufen kann, Nachrichten in privaten Chatgruppen seien vertraulich, wenn er sich darin in stark beleidigender, rassistischer, sexistischer und zu Gewalt aufstachelnder Weise über Vorgesetzte und andere Kollegen äußert (BAG, Urteil vom 24.08.2023 – 2 AZR 17/23).

DER FALL

Der bei der Beklagten beschäftigte Kläger gehörte seit 2014 einer Chatgruppe mit fünf anderen Arbeitnehmern an. Im November 2020 wurde ein ehemaliger Kollege als weiteres Gruppenmitglied aufgenommen. Alle Gruppenmitglieder waren nach den Feststellungen der Vorinstanz „langjährig befreundet“, zwei miteinander verwandt. Neben rein privaten Themen äußerte sich der Kläger – wie auch mehrere andere Gruppenmitglieder – in beleidigender und menschenverachtender Weise u. a. über Vorgesetzte und Arbeitskollegen. Nachdem die Beklagte hiervon zufällig Kenntnis erhielt, kündigte sie das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos.

Beide Vorinstanzen gaben der Kündigungsschutzklage statt. Nach dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen seien die Äußerungen des Klägers zwar grundsätzlich geeignet gewesen, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen, allerdings seien die Äußerungen im konkreten Fall in einer Umgebung geäußert worden, in welcher der Kläger von einer Vertraulichkeit ausgehen durfte. Die Interessen des Klägers an der Vertraulichkeit im privaten Bereich überwiege das Interesse der diffamierten und beleidigten Kollegen (vgl. Landesarbeitsgericht Niedersachen, Urteil vom 19.12.2022 – 15 Sa 284/22).

DIE ENTSCHEIDUNG

Auf die Revision der Beklagten hob das Bundesarbeitsgericht das Berufungsurteil insoweit auf und verwies die Sache an das Landesarbeitsgericht zurück. Zur Begründung führte es an, das Berufungsgericht habe rechtsfehlerhaft eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung des Klägers betreffend der ihm vorgeworfenen Äußerungen angenommen und das Vorliegen eines Kündigungsgrundes verneint. Eine Vertraulichkeitserwartung sei nur dann berechtigt, wenn die Mitglieder der Chatgruppe den besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen können. Das wiederum sei abhängig von dem Inhalt der ausgetauschten Nachrichten sowie der Größe und personellen Zusammensetzung der Chatgruppe. Sind Gegenstand der Nachrichten – wie vorliegend – beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige, bedürfe es einer besonderen Darlegung, warum der Arbeitnehmer berechtigt erwarten konnte, deren Inhalt werde von keinem Gruppenmitglied an einen Dritten weitergegeben.

Der Kläger wird also vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen darzulegen haben, warum er angesichts der Größe der Chatgruppe, ihrer geänderten Zusammensetzung, der unterschiedlichen Beteiligung der Gruppenmitglieder an den Chats und der Nutzung eines auf schnelle Weiterleitung von Äußerungen angelegten Mediums eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung haben durfte – es bleibt also spannend.

FAZIT

Das Bundesarbeitsgericht hat mit diesem Urteil die Hürden für außerordentliche Kündigungen in ähnlich gelagerten Fällen gesenkt. Dabei gilt, dass je schwerwiegender die verbalen Entgleisungen sind, desto weniger darf der Arbeitnehmer darauf vertrauen, dass seine Aussagen vertraulich bleiben. Dies ist für Arbeitgeber erfreulich, können beleidigende und herablassende Äußerungen über den Arbeitgeber selbst, Vorgesetzte oder Kollegen das Betriebsklima doch erheblich belasten. Gleichwohl handelt es sich natürlich weiterhin um eine Einzelfallprüfung – die naturgemäß eine gewisse Rechtsunsicherheit mit sich bringt.

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Markus Schanzleh

Markus Schanzleh

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