EuG: Designschutz für verdeckte Verschleißteile? Zur Abgrenzung von Bauelementen komplexer Erzeugnisse und Verbrauchsmaterialien

Der EuG hatte sich kürzlich mit der Abgrenzung von Bauelementen komplexer Erzeugnisse und Verbrauchs- bzw. Verschleißmaterialien und den jeweils geltenden Schutzvoraussetzungen zu befassen. Er führte in diesem Zusammenhang aus, dass typische Merkmale eines Verschleißteils ein gewichtiges Indiz gegen die Einordung als Bauelement eines komplexen Erzeugnisses darstellen können (vgl. EuG, Urteil vom 22.03.2023 – T-617/2).

Zum Hintergrund

Neben der Neuheit und Eigenheit des Designs ist bei Bauelementen komplexer Erzeugnisse deren Sichtbarkeit bei bestimmungsgemäßer Verwendung eine weitere essentielle Schutzvoraussetzung. Hintergrund dieser Regelung ist die Absicht, den Designschutz für innenliegende Reparaturteile und damit eine entsprechende Monopolisierung zu verhindern.

Zum Sachverhalt

Das streitgegenständliche Gemeinschaftsgeschmacksmuster zeigt eine Elektrode, die für die Verwendung in einem Schweißbrenner bestimmt ist, der wiederum Teil einer Plasmaschneideanlage ist. Die Elektrode ist ein regelmäßig auszutauschendes Verschleißteil mit einer sehr kurzen Lebensdauer von nur wenigen Stunden, das vom Endbenutzer auf einfache Weise ausgetauscht wird, u. a. durch Entfernen der Brennerklappe und Ein-/Ausschrauben der Elektrode. Der Brenner wird auch getrennt von der Elektrode vermarktet und die Elektrode kann in Brennern verschiedener Anbieter verwendet werden.

Die Klägerin stützt das Nichtigkeitsverfahren auf einen Verstoß gegen Art. 4 Abs. 2 GGV, da die Elektrode ein Bauelement eines komplexen Erzeugnisses darstelle, welches bei bestimmungsgemäßer Verwendung des Brenners unter der Brennerklappe nicht sichtbar sei. Die Nichtigkeitsabteilung des EUIPO folgte der Argumentation der Klägerin und erklärte das angegriffene Geschmacksmuster für nichtig, die Beschwerdekammer hob die Entscheidung jedoch auf.

Zur Entscheidung des EuG

Der EuG bestätigte die Auffassung der Beschwerdekammer und wies die Klage ab. Das Gericht wies in seiner Begründung darauf hin, dass Art. 4 Abs. 2 GGV als eine Ausnahme von der Schutzregelung des Art. 4 Abs. 1 GGV eng auszulegen ist, um den Ausschluss des Geschmacksmusterschutzes zu beschränken.

Die streitgegenständliche Elektrode sei kein Bauelement eines komplexen Erzeugnisses. Bei der Auslegung dieses nicht legaldefinierten Begriffes müsse auf den gewöhnlichen Sprachgebrauch und die bisherige Definition des Gerichtshofs abgestellt werden, wonach darunter diejenigen Einzelteile zu verstehen seien, die zu einem komplexen industriellen oder handwerklichen Gegenstand zusammengebaut werden sollen und sich ersetzen lassen, sodass ein solcher Gegenstand auseinander- und wieder zusammengebaut werden könne, und deren Fehlen dazu führen würde, dass das komplexe Erzeugnis nicht bestimmungsgemäß verwendet werden könne (EuGH, Urteil vom 20. Dezember 2017, Acacia und D’Amato, C-397/16 und C-435/16).

Im Übrigen sei eine Beurteilung im Einzelfall anhand eines Bündels relevanter Indizien vorzunehmen. Im vorliegenden Fall sprächen gegen das Vorliegen eines Bauelements eines komplexen Erzeugnisses der Verschleiß und damit der regelmäßige Austausch der Elektrode. Der EuG weist insoweit darauf hin, dass das Vorliegen typischer Merkmale eines Verschleißteils ein gewichtiges Indiz gegen die Einordnung des Bestandteiles als Bauelement eines komplexen Erzeugnisses darstellt. Das Gericht führt aus, dass gerade der Endbenutzer, der die Elektrode regelmäßig kauft und ersetzt, insbesondere aufgrund des Verschleißes der fraglichen Elektrode in der Lage sei, ihre Merkmale wahrzunehmen und zu beurteilen, unabhängig von der Frage, ob die Elektrode nach ihrem Einbau in dem Brenner sichtbar bleibt.

Vorliegend sprächen auch die fehlende feste/dauerhafte Verbindung mit dem Brenner, der Umstand, dass die Elektrode auf einfache Weise vom Endbenutzer ohne fachmännische Hilfe ausgetauscht werden könne und der Brenner nicht auseinander- und wieder zusammengebaut werden müsse und der Umstand, dass der Brenner auch ohne die Elektrode als vollständiges und unbeschädigtes Erzeugnis wahrgenommen werde, das zudem getrennt vertrieben werden könne sowie die Austauschbarkeit der Elektrode und somit ihre fehlende dauerhafte Verbindung mit dem Brenner, gegen das Vorliegen eines Bauelementes eines komplexen Erzeugnisses.

Das Argument der Klägerin, der Schutz von Verschleißteilen, die bei bestimmungsgemäßer Verwendung des Erzeugnisses nicht sichtbar seien und in keiner Weise zum allgemeinen Erscheinungsbild des komplexen Erzeugnisses beitrügen, stelle eine unerwünschte Beschränkung des Wettbewerbs auf dem Markt für Bauelemente komplexer Erzeugnisse dar, wies der EuG zurück. Die Beschwerdekammer habe keine Prüfung etwaiger unerwünschter Auswirkungen auf den Wettbewerb auf den relevanten Märkten vornehmen müssen.

Praxistipp

Die Entscheidung des EuG ist für Hersteller von Verschleißteilen und Verbrauchsmaterialien eine gute Nachricht und reiht sich in die jüngere Rechtsprechung auf Unionsebene ein, die den Designschutz für verdeckte Verschleißteile, die der Endbenutzer regelmäßig austauschen muss, stärkt (vgl. auch EUIPO Entscheidung v. 23.8.2021 – R 299/2021-3 – Staubsaugerbeutel II).

Grundsätzlich ist dennoch stets eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen, ob bei dem in Frage stehenden Design „eine kurze Lebensdauer“ und eine „einfache Austauschbarkeit“ gegeben sind. Sobald ein Austausch eines Verschleißteiles lediglich durch Fachkräfte erfolgt und die Elemente festmontiert werden, wird man weiterhin auf die engen Schutzkriterien des Art. 4 Abs. 2 GGV abstellen müssen. Dennoch empfiehlt es sich bei neu entwickelten Produkten im Vorfeld zu prüfen, ob sie dem Designschutz zugänglich sind und so vor unerwünschten Nachahmungen geschützt werden können.

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Britta Iris Lissner, LL.M.

Britta Iris Lissner, LL.M.

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