BGH zur widerlegbaren Vermutung für Berechtigung zur Inanspruchnahme eines Prioritätsrechts

In seiner Entscheidung „Happy Bit“ (Urt. v. 09.01.2024, X ZR 74/21) bestätigt der BGH seine Rechtsprechung zur widerlegbaren Vermutung für Berechtigung zur Inanspruchnahme eines Prioritätsrechts sowie zur Änderung eines Patentanspruchs im Nichtigkeitsverfahren.

Auf Basis seiner diesbezüglichen Rechtsprechung stellt der BGH klar, dass die nachträgliche Einbeziehung eines von der erteilten Fassung nicht geschützten Gegenstandes in einen Patentanspruch zu einer Erweiterung des Schutzbereichs führe. Hierzu führt der BGH aus, dass das Patentnichtigkeitsverfahren dem Patentinhaber zwar die Möglichkeit eröffne, das Schutzrecht in eingeschränkter Fassung zu verteidigen. Es diene aber darüber hinaus nicht der Gestaltung des Patentes. Diese Funktion sei vielmehr allein dem Patenterteilungsverfahren zugewiesen. Deshalb dürfe ein Patentanspruch im Nichtigkeitsverfahren nicht so geändert werden, dass er einen von der erteilten Fassung nicht umfassten Gegenstand einbeziehe (BGH, GRUR 2019, 389 – Schaltungsanordnung III – und GRUR 2005, 145, 146 – Elektronisches Modul).

Im Streitfall führe die Ersetzung der Wörter „an apparatus associated with a user equipment“ durch die Wörter „a user equipment“ zur Einbeziehung eines anderen Gegenstandes in diesem Sinne. Die erteilte Fassung des Streitpatents unterscheide zwischen einem Benutzergerät und einem damit verknüpften Gerät und schütze lediglich ein Verfahren zum Betreiben des verknüpften Geräts. Da weder die Art der Verknüpfung noch eine besondere Abgrenzbarkeit von Gerät und Endgerät vorgegeben seien, möge zwar schon nach dieser Fassung auch ein Endgerät als verknüpftes Gerät angesehen werden können, das nur in seiner Gesamtheit zur Ausführung des geschützten Verfahrens geeignet sei. Jedenfalls bei Geräten, bei denen das geschützte Verfahren durch eine klare abgrenzbare Einzelkomponente ausgeführt wird, verlagere sich der Schutz aber vom Betreiben der Einzelkomponente zum Betreiben der Gesamtvorrichtung.

Dies treffe insbesondere auf den von der Berufung hervorgehobenen Fall zu, dass das Verfahren auf einem einzelnen Chip abläuft. Gerade hier würde der Schutz vom Betreiben des Chips auf das Betreiben des vollständigen Endgerätes erweitert. Dies sei ein anderer Gegenstand im Sinne der aufgezeigten Rechtsprechung.

In Bezug auf die zwischen den Parteien streitige Inanspruchnahme des Prioritätsrechts durch das Streitpatent betont der BGH Folgendes:

Die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes habe entschieden, dass die Wirksamkeit der Inanspruchnahme einer Priorität für die Anmeldung eines europäisches Patents gemäß Art. 87 Abs. 1 EPÜ autonom auf der Grundlage des Europäischen Patentübereinkommens zu beurteilen ist, dass für die Berechtigung zur Inanspruchnahme eine widerlegbare, aber starke Vermutung spricht und dass die gemeinsame Einreichung einer PCT-Anmeldung, in der für einen oder mehrere Bestimmungsstaaten der Anmelder der prioritätsbegründenden Anmeldung und für einen oder mehrere andere Bestimmungsstaaten eine andere Person benannt wird, eine Abmachung der Beteiligten impliziert, die eine andere Person zur Inanspruchnahme der Priorität berechtigt (EPA, Entscheidung vom 10.10.2023 – G1/22 Rn. 86, Rn. 101 ff. und Rn. 122 – Prioritätsberechtigung). Dem sei der Senat auch auf Grundlage des deutschen Rechts beigetreten (BGH v. 28.11.2023, X ZR 83/21, Rn. 110 ff. – Sorafenib-Tosylat).

Im Streitfall hätten die Klägerinnen keine konkreten Umstände aufgezeigt, die die Vermutung der Berechtigung zur Inanspruchnahme des Prioritätsrechts widerlegen. Es sei zudem nicht ausgeschlossen, dass im Streitfall individuelle Abtretungsvereinbarungen abgeschlossen wurden.

Hinzu komme, dass die beiden Anmelder der als Priorität in Anspruch genommenen US-Anmeldung an der Einreichung der dem Streitpatent zugrunde liegenden PCT-Anmeldung beteiligt waren. Auch dies spreche dafür, dass die Beklagte zur Inanspruchnahme der Priorität berechtigt war.

Amtliche Leitsätze des BGH

Ein Patentanspruch darf im Nichtigkeitsverfahren nicht so geändert werden, dass er einen von der erteilten Fassung nicht umfassten Gegenstand einbezieht (Bestätigung von BGH, Urt. v. 20.12.2018, X ZR 56/17, GRUR 2019, 389 Rn. 33 – Schaltungsanordnung III –, Urt. v. 24.09.2004, X ZR 149/01, GRUR 2005, 145, 146 – Elektronisches Modul).

Für die Berechtigung zur Inanspruchnahme eines Prioritätsrechts bei der Anmeldung eines europäischen Patents spricht eine widerlegbare Vermutung (Bestätigung von BGH, Urt. v. 28.11.2023, X ZR 83/21, Rn. 110 ff. – Sorafenib-Tosylat).

Quelle: BGH, Urt. v. 09.01.2024 – X ZR 74/21

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Dr. Anja Bartenbach, LL.M.

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