BGH zu Rechtsmitteln gegen Entscheidung über die Herausgabe eines Gutachtens

Im Beschluss „Ästhetische Behandlung“ (vom 01.08.2023, X ZB 9/21) hat sich der BGH mit der Frage des Rechtsmittels gegen eine Entscheidung über die Herausgabe eines Gutachtens im selbständigen Beweisverfahren beschäftigt und seine diesbezügliche Rechtsprechung ergänzt.

Der BGH stellt klar, dass gegen eine Entscheidung über die Herausgabe eines Gutachtens, das in einem selbständigen Beweisverfahren aufgrund einer nach § 140c Abs. 3 PatG oder § 24c Abs. 3 GebrMG angeordneten Besichtigung erstellt worden ist, an den Antragsteller des Beweisverfahrens gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO die sofortige Beschwerde statthaft ist. Dies gelte nicht nur dann, wenn der Antrag auf Herausgabe abgelehnt wird, sondern auch dann, wenn das erstinstanzliche Gericht die Herausgabe anordnet, obwohl der Antragsgegner dem unter Geltendmachung von Geheimhaltungsinteressen entgegengetreten ist.

Weiter betont der BGH, dass ein im selbständigen Beweisverfahren erstelltes Gutachten den Parteien bzw. ihren Verfahrensbevollmächtigten im Regelfall vorbehaltlos übermittelt werde. Ein Gutachten, das in einem selbständigen Beweisverfahren im Anschluss an eine auf der Grundlage von § 140c Abs. 3 PatG angeordnete Besichtigung erstellt worden ist, dürfe dem Antragsteller hingegen nur insoweit zur eigenen Kenntnisnahme überlassen werden, als dieses den berechtigten Geheimhaltungsinteressen des Antragsgegners nicht entgegensteht. Grund hierfür sei die in § 140c Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3 Satz 2 PatG normierte Pflicht des Gerichts, bei Entscheidungen über die Verpflichtung zur Vorlage einer Urkunde oder zur Duldung der Besichtigung einer Sache die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um den Schutz vertraulicher Informationen zu gewährleisten (BGH, GRUR 2010, 318 – Lichtbogenschnürung). Diese Pflicht greife nicht nur bei der Entscheidung über den Anspruch auf Vorlage oder Besichtigung. Berechtigte Geheimhaltungsinteressen des Antragsgegners seien immer auch in einem selbständigen Beweisverfahren zu berücksichtigen, in dem auf der Grundlage einer angeordneten Vorlage oder Besichtigung ein Sachverständigengutachten erstellt worden ist. Abweichend von den herkömmlichen Regeln eines selbständigen Beweisverfahrens dürfe ein solches Gutachten den Beteiligten nicht vorbehaltlos übermittelt werden. Begehrt der Antragsteller die Aushändigung des Gutachtens an sich selbst, sei vielmehr zu entscheiden, inwieweit schützenswerte Interessen des Antragsgegners betroffen sind und das Geheimhaltungsinteresse überwiegt.

Die Beschränkung der Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde auf die Zurückweisung eines das Verfahren betreffenden Gesuchs diene dem Zweck, den Verfahrensablauf nicht durch ausufernde Beschwerdemöglichkeiten in unverhältnismäßiger Weise zu behindern. Diese Beschränkung der Rechtsschutzmöglichkeiten sei verfassungsrechtlich in der Regel schon deshalb unbedenklich, weil Art. 19 Abs. 4 GG einen Instanzenzug nicht zwingend vorschreibt und weil ein eventueller Rechtsfehler im Rahmen der Entscheidung über ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung korrigiert werden kann.

Eine andere Beurteilung sei hingegen geboten, wenn bereits die Zwischenentscheidung für einen Beteiligten einen bleibenden Nachteil zur Folge hätte, der sich im weiteren Verfahren nicht mehr oder jedenfalls nicht vollständig beheben ließe (BGH, GRUR 2009, 519 – Hohlfasermembranspinnanlage I). Eine solche Konstellation liege in der Regel vor, wenn der Antragsgegner dem Verlangen des Antragstellers mit der Begründung entgegentritt, durch die Überlassung des Gutachtens würden schützenswerte Geheimnisse zu Unrecht preisgegeben. Erweist sich die Anordnung, dem Antragsteller das Gutachten zu überlassen, im Nachhinein als fehlerhaft, könne die mit der Überlassung des Gutachtens verbundene Preisgabe geheimer Informationen nicht mehr rückgängig gemacht werden. Vor diesem Hintergrund sei es auch aus Gründen der Waffengleichheit geboten, nicht nur dem Antragsteller, sondern auch dem Antragsgegner die Möglichkeit der Beschwerde gegen eine ihm ungünstige Entscheidung zu eröffnen.

Gegen eine Entscheidung über die Herausgabe eines Gutachtens, das in einem selbständigen Beweisverfahren aufgrund einer nach § 140c Abs. 3 PatG oder § 24c Abs. 3 GebrMG angeordneten Besichtigung erstellt worden ist, an den Antragsteller des Beweisverfahrens ist gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO die sofortige Beschwerde statthaft. Dies gilt nicht nur dann, wenn der Antrag auf Herausgabe abgelehnt wird, sondern auch dann, wenn das erstinstanzliche Gericht die Herausgabe anordnet, obwohl der Antragsgegner dem unter Geltendmachung von Geheimhaltungsinteressen entgegengetreten ist.

Für die Entscheidung über die Herausgabe des Gutachtens ist die Frage, wie wahrscheinlich das Bestehen von Ansprüchen wegen Verletzung des Schutzrechts ist, nur dann erheblich, wenn der Antragsgegner berechtigte Geheimhaltungsinteressen dargelegt hat (Ergänzung zu BGH, Beschluss vom 16.11.2009, X ZB 37/08, BGHZ 183, 153 = GRUR 2010, 318 – Lichtbogenschnürung).

(Amtliche Leitsätze des BGH)

BGH, Beschluss vom 01.08.2023, X ZB 9/21

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Dr. Anja Bartenbach, LL.M.

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