BGH zu den Anforderungen an Prüfung einer widerrechtlichen Entnahme

In der Entscheidung „Brustimplantat“ (BGH, Urt. v. 26.07.2022, X ZR 1/21) bestätigt der BGH seine Rechtsprechung, dass für den Vindikationsanspruch in erster Linie zu untersuchen sei, inwieweit die zum Patent angemeldete Lehre mit derjenigen, deren widerrechtliche Entnahme geltend gemacht wird, übereinstimmt.

Die Parteien streiten um die Rechte an einem europäischen Patent (Streitpatent), das ein Verfahren zur Herstellung von Implantaten oder Zwischenprodukten solcher Implantate betrifft.

Die Klägerin ist ein in Brasilien ansässiges Unternehmen, das sich mit der Herstellung von Silikonimplantaten befasst. Die in Deutschland ansässige Beklagte bezog seit 1992 von der Klägerin Brustimplantate und vertrieb diese in Europa. Die Zusammenarbeit der Parteien endete 2008.

Das Streitpatent beruht auf einer Anmeldung der Beklagten aus Oktober 2011. Die Klägerin hat die Beklagte auf Übertragung und Einwilligung in die Umschreibung sämtlicher nationaler Teile des Streitpatents und hilfsweise auf Einräumung einer Mitberechtigung in Anspruch genommen, ferner auf Auskunft und Feststellung der Verpflichtung zum Schadensersatz. Sie hat geltend gemacht, die Erfindung sei von Mitarbeitern der Klägerin gemacht worden. Das Streitpatent beruhe auf Informationen, die die Beklagte im Rahmen der Zusammenarbeit mit der Klägerin erlangt habe.

Der BGH kommt zu dem Ergebnis, dass die Revision der Klägerin zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückweisung der Sache an das Berufungsgericht führt.

Der BGH stellt fest, dass das Berufungsgericht den Gegenstand des Streitpatents nicht zutreffend bestimmt habe. Hierzu führt er aus, dass die Frage, ob ein Berechtigter nach § 8 Satz 1 und 2 PatG die Übertragung eines Patents oder die Einräumung einer Mitberechtigung daran verlangen kann, einen prüfenden Vergleich der zum Patent angemeldeten Lehre mit derjenigen, deren widerrechtliche Entnahme geltend gemacht wird, erfordere.

Dafür sei in erster Linie zu untersuchen, inwieweit beide Lehren übereinstimmen (BGH GRUR 2016, 265 – Kfz-Stahlbauteil; BGH GRUR 2020, 1186 – Mitralklappenprothese). Der Auslegung des Streitpatents durch das Berufungsgericht, die auch im Vindikationsprozess der uneingeschränkten rechtlichen Nachprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt (BGH GRUR 2016, 265 – Kfz-Stahlbauteil), könne nicht beigetreten werden. Im Anschluss daran betont der BGH, dass das Berufungsgericht die Anforderungen an die Darlegung des Erfindungsbesitzes der Klägerin und eines Wissenstransfers an die Beklagte überspannt habe.

Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs sei nach der Rechtsprechung des BGH schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Der Vortrag müsse konkret genug sein, um die Erheblichkeit der Tatsachen beurteilen zu können und eine Stellungnahme des Gegners zu ermöglichen. Sind diese Anforderungen erfüllt und wird der Vortrag von der Gegenseite erheblich bestritten, sei es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten (BGH NJW-RR 2022, 634).

Gemessen hieran habe die Klägerin nach Auffassung des BGH ihren Erfindungsbesitz schlüssig dargetan. Das Berufungsgericht hätte den Erfindungsbesitz der Klägerin mithin nicht verneinen dürfen, ohne sich mit dem konkreten Vorbringen der Klägerin auseinanderzusetzen und erforderlichenfalls die angebotenen Beweise zu erheben.

In Bezug auf den wiedereröffneten Berufungsrechtszug gibt der BGH dem Berufungsgericht eine „Segelanweisung“ mit, nach der dieses u. a. darüber zu entscheiden hat, ob die Beklagte eine technische Dokumentation, aus der sich die vermeintliche widerrechtliche Entnahme ergeben könnte, nach § 422 ZPO oder § 142 Abs. 1 ZPO vorzulegen hat.

Amtlicher Leitsatz des BGH:

Ob ein Berechtigter nach § 8 Satz 1 und 2 PatG die Übertragung eines Patents oder die Einräumung einer Mitberechtigung daran verlangen kann, erfordert einen prüfenden Vergleich der zum Patent angemeldeten Lehre mit derjenigen, deren widerrechtliche Entnahme geltend gemacht wird. Dafür ist in erster Linie zu untersuchen, inwieweit beide Lehren übereinstimmen (Bestätigung von BGH, Urteil vom 20.10.2015 – X ZR 149/12, GRUR 2016, 265 Rn. 22 – Kfz-Stahlbauteil; Urteil vom 04.08.2020 – X ZR 38/19, GRUR 2020, 1186 Rn. 41 – Mitralklappenprothese).

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Dr. Anja Bartenbach, LL.M.

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