BGH – Führungsschienen Anordnung

In einem Urteil vom 15.06.2021 (Az: X ZR 58/19) hat sich der BGH zu den Voraussetzungen der erfinderischen Tätigkeit ausgehend von allgemeinem Fachwissen des Fachmanns geäußert.

Nach § 4 PatG gilt eine Erfindung als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. In der Praxis bedarf es zur Widerlegung der erfinderischen Tätigkeit einer Argumentation, warum der Fachmann eine konkrete Veranlassung hatte, bestimmte (möglicherweise) für sich betrachtet bereits bekannte Merkmale zu der erfindungsgemäßen Lösung zu kombinieren.

In den meisten Fällen erfolgt dies unter Anknüpfung an bestimmte Vorveröffentlichungen, die bereits in bestimmte Richtungen deuten. Davon abweichend kann dem Fachmann aber auch der Rückgriff auf Kenntnisse von bestimmten Merkmalen aus dem allgemeinen Fachwissen heraus zugemutet werden.

Der BGH hatte in der Berufungsinstanz über die Nichtigkeit eines deutschen Patents zu entscheiden, das eine aus Kunststoff gespritzte Führungsschiene und ein Fensterrollo für Kraftfahrzeuge betraf. Erfindungsgemäß war insbesondere, zwei hinterschneidungsfreie Teile der Schienen isoliert mittels Spritzguss zu fertigen, um diese dann zusammenzufügen, so dass hohe Herstellungskosten von Bauteilen mit Hinterschneidungen verringert werden.

Das Bundespatentgericht hatte das Patent für nichtig erklärt und diese Erkenntnis unter anderem mit einem Ausschnitt aus einem Lehrbuch begründet, das als allgemeines Fachwissen des Fachmanns qualifiziert wurde. Der BGH bestätigte die Entscheidung des Bundespatentgerichts.

Die Anwendung eines bestimmten Mittels kann auch ohne entsprechende Anregung naheliegend sein, wenn dieses als ein generelles, für eine Vielzahl von Anwendungsfällen in Betracht zu ziehendes Mittel seiner Art nach zum allgemeinen Fachwissen des angesprochenen Fachmanns gehört, die Nutzung der in Rede stehenden Funktionalität sich in dem zu beurteilenden Zusammenhang als objektiv zweckmäßig darstellt und keine besonderen Umstände feststellbar sind, die eine Anwendung aus fachlicher Sicht als nicht möglich, mit Schwierigkeiten verbunden oder sonst untunlich erscheinen lassen (unter Bezugnahme auf BGH GRUR 2014, 647 – Farbversorgungssystem; BGH GRUR 2018, 716 Rn. 29 – Kinderbett; BGH GRUR 2020, 1074 Rn. 49 – Signalübertragungssystem).

Leitsatz der Entscheidung:

Wenn ein bestimmtes Mittel als generelles, für eine Vielzahl von Anwendungsfällen in Betracht zu ziehendes Mittel seiner Art nach zum allgemeinen Fachwissen gehört und sich auch in dem konkret zu beurteilenden Zusammenhang als objektiv zweckmäßig darstellt, ist eine Anwendung aus fachlicher Sicht nicht allein deshalb untunlich, weil dieses Mittel generell bestimmte Nachteile aufweist oder weil im konkreten Zusammenhang auch andere Ausführungsformen in Betracht kommen (Ergänzung zu BGH, Urteil vom 11. März 2014 – X ZR 139/10, GRUR 2014, 647 Rn. 26 – Farbversorgungssystem; Urteil vom 27. März 2018 – X ZR 59/16, GRUR 2018, 716 Rn. 29 – Kinderbett; Beschluss vom 13. Juli 2020 – X ZR 90/18, GRUR 2020, 1074 Rn. 49 – Signalübertragungssystem).

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Dr. Martin Quodbach, LL.M.

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