Rechtsprechungsänderung!

Mit Urteil vom 22.06.2023, Az. VII ZR 881/21, hat der BGH seinen bisherigen Standpunkt zur Hemmung von Ansprüchen im Beweisverfahren aufgegeben: Das Beweisverfahren hemmt die Verjährung für alle Ansprüche bis zur sachlichen Erledigung des Verfahrens!

Problem/Sachverhalt

Der Auftraggeber (AG) macht gegen den Auftragnehmer (AN) Ansprüche wegen zwei Mängeln einer Betonfertigteilfassade geltend: Die Betonelemente wiesen Risse auf, an den Fensterlamellen seien Durchbiegungen festzustellen. Vor Ablauf der Gewährleistungsfrist leitet der AG ein selbstständiges Beweisverfahren ein. Innerhalb der Stellungnahmefrist zum ersten Ergänzungsgutachten des Sachverständigen, die bis zum 19.04.2013 lief, nahmen die Parteien nicht mehr zu den behaupteten Rissen Stellung. Hinsichtlich der Fensterlamellen wurde das selbstständige Beweisverfahren indes fortgesetzt. Das Verfahren endete schließlich am 23.03.2015. Sodann hat der AG wegen der Risse u. a. einen Kostenvorschuss i. H. v. 67.200,00 Euro sowie wegen der Mängel der Fensterlamellen einen Kostenvorschuss i. H. v. 762.000,00 Euro eingeklagt. Das OLG Stuttgart wies im Berufungsverfahren die Klage hinsichtlich der Fensterlamellen als derzeit unbegründet ab und gab der Klage hinsichtlich der Risse statt. Das OLG Stuttgart stellte fest, dass die Verjährung durch das eingeleitete selbstständige Beweisverfahren auch hinsichtlich der Risse bis zu dessen Abschluss am 23.03.2015 gehemmt gewesen sei. Der AN wendet sich gegen die Entscheidung des OLG Stuttgart und beruft sich insoweit auf ein Urteil des BGH vom 03.12.1992: Danach endet die Hemmung der Verjährung durch ein selbstständiges Beweisverfahren über mehrere Mängel hinsichtlich des jeweiligen Mangels mit der Beweiserhebung über diesen Mangel.

Entscheidung

Ohne Erfolg! Der BGH ändert seine Rechtsprechung und weist die Revision zurück. Nach § 204 Abs. 2 BGB endet die Hemmung der Verjährung durch gerichtliches Verfahren sechs Monate nach der Beendigung des Verfahrens. Das selbstständige Beweisverfahren ist grundsätzlich mit der sachlichen Erledigung der Beweiserhebung beendet. Dabei bezieht sich die sachliche Erledigung auch bei mehreren Mängeln auf das Ende der gesamten Beweisaufnahme. Dafür spricht nach der Begründung des BGH schon der Wortlaut des § 204 Abs. 2 BGB, der auf die Beendigung des eingeleiteten Verfahrens Bezug nimmt. Für die Parteien wäre es mühsam und zeitaufwendig, müsste der Auftraggeber Ansprüche wegen einzelner Mängel, deren Begutachtung abgeschlossen ist, gesondert geltend machen. Auch aus Gesichtspunkten der Prozessökonomie wäre diese Vorgehensweise nicht sachgerecht. Außerdem steht zu erwarten, dass eine gütliche Einigung eher zustande kommt, wenn über alle behaupteten Mängel abschließend Einvernehmen besteht und der Streit umfassend beendet werden kann. Die rechtliche Selbstständigkeit der Mängel und der aus ihnen resultierenden Ansprüche führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Hemmung der Verjährung durch gerichtliche Geltendmachung knüpft nicht an den einzelnen Anspruch an, sondern an das eingeleitete Verfahren.

Praxishinweis

Der BGH stellt die Einheitlichkeit des Beweisverfahrens in den Vordergrund. Gerade die Hemmung der Verjährung muss an eindeutige Umstände anknüpfen. Auch den Gesichtspunkt der Prozessökonomie stellt der BGH ausdrücklich heraus.

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Dr. Carolin Dahmen

Dr. Carolin Dahmen

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