Neues rund um die Vergabe von Rettungsdienstleistungen

Nach dem Grundsatzurteil des EuGH zur Bereichsausnahme aus dem letzten Jahr (Urteil v. 21.03.2019 – C-465/17 – Falck) liegt nun die erste Entscheidung eines Vergabesenats zu einer Vergabe im Bereich des Rettungsdienstes vor. Das OLG Hamburg hat mit Beschluss vom 16.04.2020 (Az.: 1 Verg 2/20) bei der geplanten Vergabe der Notfallrettung in Hamburg die Voraussetzungen der Bereichsausnahme als erfüllt angesehen und das Verfahren an das Verwaltungsgericht verwiesen.

Sachverhalt

Mit nationaler Bekanntmachung vom 3. Dezember 2019 hat die Antragsgegnerin ein Ausschreibungsverfahren veröffentlicht, das ausdrücklich als verwaltungsrechtliches Auswahlverfahren unter Anwendung der Bereichsausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB i. V. m. § 14 Abs. 1 Nr. 2 des Hamburgischen Rettungsdienstgesetzes (HmbRDG) bezeichnet wurde. Weiterhin wurde in den Vergabeunterlagen darauf hingewiesen, dass eine Vergabe an gemeinnützige Organisationen beabsichtigt sei, die einen Nachweis über die zulässige Mitwirkung im Katastrophenschutz beibringen müssten. Der Auftragswert wurde mit mehr als 100.000.000,00 € angegeben.

Die Antragstellerin hat das Verfahren gerügt und in zwei Instanzen vorgetragen, die Antragsgegnerin könne sich nicht auf die Bereichsausnahme berufen, sondern sei verpflichtet, ein förmliches europaweites Vergabeverfahren durchzuführen. § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB könne schon deswegen nicht eingreifen, da das HmbRDG von der Gleichrangigkeit gemeinnütziger und gewerblicher Anbieter ausgehe. Darüber hinaus sei § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB ohnehin europarechtswidrig und es bestehe schon aufgrund des europäischen Primärrechts eine Pflicht zur europaweiten, diskriminierungsfreien Ausschreibung.

Die Entscheidung

Wie zuvor schon die Vergabekammer hat auch das OLG den Nachprüfungsantrag als unzulässig eingestuft und ihn – der VK in der ersten Instanz war dieser Weg mangels Verweisungskompetenz verwehrt – an das Verwaltungsgericht verwiesen. Als Begründung führt der Senat aus, dass sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen der Bereichsausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB erfüllt seien. Unstreitig fielen die streitgegenständlichen Leistungen unter die im Gesetz genannten CPV-Codes; zudem würden sie auf Basis der Ausschreibungsbedingungen des Antragsgegners auch von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht. Einer solchen Anwendung der Bereichsausnahme stünden weder die vermeintliche Europarechtswidrigkeit der Regelung (vgl. dazu die Entscheidung des EuGH vom 21.03.2019 – C-465/17) noch das HmbRDG entgegen. Denn letzteres gebe gerade keine zwingende Gleichbehandlung gemeinnütziger und gewerblicher Anbieter vor, sondern überlasse die Entscheidung vielmehr der Behörde im Einzelfall.

Rechtliche Würdigung

Der Beschluss des OLG Hamburg bringt für Auftraggeber weitere Klarheit im Hinblick auf die Voraussetzungen einer Anwendung der Bereichsausnahme bei der Vergabe von Rettungsdienstleistungen. Gleichzeitig bleiben nach wie vor Fragen offen, die teilweise durch das jetzt zuständige VG Hamburg zu klären sein werden.

Neben der Möglichkeit einer vom EuGH offengelassenen richtlinienkonformen Auslegung des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB steht insbesondere die Frage im Raum, ob die Bereichsausnahme für den Rettungsdienst eine abschließende Harmonisierungsmaßnahme darstellt oder daneben eine Ausschreibungspflicht aufgrund europäischen Primärrechts entstehen kann – eine Thematik, die angesichts der wohl anzunehmenden Binnenmarktrelevanz des Auftrags auch im vorliegenden Fall vor dem VG relevant werden könnte.

Zudem dürfte früher oder später erneut diskutiert werden, ob Landesrettungsdienstgesetze, die gemeinnützige und gewerbliche Anbieter gleichstellen, in der Lage sind, auf diese Weise die bundesgesetzlich normierte Bereichsausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB zu unterlaufen.

Schließlich hat die Antragstellerin anklingen lassen, dass sie die Bereichsausnahme im GWB sowie die entsprechende Regelung im hamburgischen Rettungsgesetz für verfassungswidrig hält, so dass möglicherweise auch das BVerfG mit der Thematik befasst wird.

Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass noch einige Zeit vergehen wird, bis die Handlungsmöglichkeiten sowie Grenzen für öffentliche Auftraggeber bei der Vergabe von Rettungsdienstleistungen abschließend geklärt sind.

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Lara Itschert

Lara Itschert

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