Das neue Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz (BerlAVG) – Verbesserung der Anwenderfreundlichkeit und neue Herausforderungen in Zeiten der COVID-19-Krise

Seit diesem Mai gilt in Berlin die neue Fassung des Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetzes (BerlAVG). Diese neue Fassung setzt eine grundlegende Überarbeitung des bereits seit 2010 in Berlin geltenden BerlAVG im Sinne der Zielvorgaben der Regierungskoalition um. Neben der grundsätzlichen Erneuerung des landesspezifischen Vergaberechts soll das Gesetz vor allen Dingen fairer, ökologischer und wirtschaftsfreundlicher und im Ergebnis an das Bundes- und Europarecht angenähert werden.

Die Verbesserung der Anwenderfreundlichkeit stand dabei im Vordergrund. Aufträge sollen dabei durch eine Vereinheitlichung der Wertgrenzen einfacher und unbürokratischer vergeben werden können. Für ein Land wie Berlin, mit einem geschätzten jährlichen Beschaffungsvolumen von rund 5 Mrd. Euro, ist dies eine positive Nachricht für Unternehmen.

Wesentlicher Teil der Erneuerung ist der in § 2 BerlAVG geregelte abgestufte persönliche Anwendungsbereich. Dieser sieht vor, dass das Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz in seiner Gänze lediglich auf die unmittelbare Landesverwaltung angewendet wird. Erst auf der nächsten Stufe finden die Ausführungsbestimmungen der § 9 bis § 14 BerlAVG und die Verfahrensregelungen der § 15 bis 17 BerlAVG auf die restlichen öffentlichen Vergabestellen Anwendung. Diese normieren primär ökologische und soziale Aspekte, dazu näher später.

Eine weitere Abstufung findet nach dem Ober- und Unterschwellenbereich statt. Im Oberschwellenbereich gelten die Regelungen der Abschnitte der §§ 9 bis 17 BerlAVG für sämtliche öffentliche Vergabestellen. Im Gegensatz dazu kommen diese im Unterschwellenbereich auf öffentliche Auftraggeber nur dann zur Anwendung, wenn sie unter die Regelung des § 55 Landeshaushaltsordnung fallen. Damit ist festzuhalten, dass im Unterschwellenbereich der Anwendungsbereich des neuen BerlAVG für juristische Personen des Privatrechts, an denen das Land Beteiligungen hält, nicht gilt.

Für den persönlichen Anwendungsbereich lässt sich somit zusammenfassen, dass zwar bestimmte Vergabestellen von den Regelungen des BerlAVG nicht betroffen sind und dadurch für diese die erhoffte Vereinfachung tatsächlich erreicht wurde. Jedoch gilt für die mehrheitlichen restlichen Auftraggeber nun, dass gründlich geprüft werden muss, ob nach Art oder Wert des Auftrages das BerlAVG anzuwenden ist oder nicht.

Neben dem persönlichen Anwendungsbereich wurde auch der sachliche Anwendungsbereich in § 3 BerlAVG einer Änderung unterzogen. Dieser legt nun fest, dass das BerlAVG für Bauleistungen ab einem Wert von 50.000 € netto anzuwenden ist. Hingegen bleibt die Regelung, dass alle öffentlichen Aufträge über Liefer- und Dienstleistungen ab einem geschätzten Auftragswert in Höhe von 10.000 Euro (ohne Umsatzsteuer) anzuwenden ist, bestehen. Davon wird allerdings abgewichen, wenn es sich um vergaberechtsfreie Aufträge gemäß §§ 107, 109, 116, 117, 137, 140 sowie 145 GWB handelt.

Begrüßt wird von der Wirtschaft die Aufnahme des neuen § 5 BerlAVG, welcher ausdrücklich die Berücksichtigung mittelständischer Interessen normiert, da schließlich mehr als 90 % der öffentlichen Aufträge im Unterschwellenbereich stattfinden. Indem dieses Marktsegment mehrheitlich von kleinen und mittelständischen Unternehmen bedient wird, sichert die Losvergabe kleineren Unternehmen den Zugang zu öffentlichen Aufträgen, womit ein breiterer Teilnahmewettbewerb erreicht wird. Dies hat den positiven Nebeneffekt, dass der aus dem Oberschwellenbereich bekannte Grundsatz der mittelstandsfreundlichen Losvergabe als Regelfall, in Folge dessen auch den regionalen Arbeitsmarkt stützen wird.

Zu den aus wirtschaftlicher Sicht weiteren wesentlichen Kernpunkten der Neufassung gehört insbesondere auch die Erhöhung des vergabespezifischen Mindestentgelts auf 12,50 € gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 3 Berlin AVG. Mit dieser Anhebung ist nun das Höchste Mindestlohnniveau Deutschlands erreicht und es gilt für den gesamten Anwendungsbereich des BerlAVG. Diese Neuregelung hat zur Folge, dass der Mindestlohn bei öffentlichen Aufträgen wesentlich höher ausfällt, als dies beim Mindestlohngesetz des Bundes der Fall ist.

Dieser Punkt wird von Berliner Wirtschaftsvertreter kritisiert. Die Neufassung des Gesetzes tritt zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt in Kraft. In Zeiten der COVID-19-Krise stellen Erhöhungen des Mindestlohns für Unternehmen keine Entlastungen dar. Insbesondere wird damit dem Ziel der Berücksichtigung der Interessen von kleinen und mittleren Unternehmen im Vergabeprozess nicht Rechnung getragen. Es ist zu argumentieren, dass ein vergabespezifischer Mindestlohn damit in bestehende tarifvertragliche Vereinbarungen eingreift und somit die Belange der Tarifvertragsparteien tangiert.

Ungeachtet dieser Kritikpunkte wurden jedoch vor Verkündung des Gesetzes auch Stimmen wie die aus der Industrie – und Handelskammer Berlin gehört: So wurde der Regelungsinhalt des § 3 BerlAVG a. F. aufgrund berechtigter Kritik nicht mit Verweis auf bestehende Rechtsprechung für obsolet erklärt, sondern nun in § 6 BerlAVG neu kodifiziert. Dies ist zu begrüßen, da mit dem Regelungsinhalt des § 6 BerlAVG, bei unangemessen niedrigen Angeboten, im Vorfeld der Vergabe ungeeignete Bieter, die sich z. B. durch Schwarzarbeit ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile verschaffen, aussortiert werden können und damit gar nicht erst den Zuschlag erhalten werden.