Dringender Fall bei der gerichtlichen Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern im Sinne des § 104 Abs. S. 2 AktG

Das OLG Frankfurt a. M. hat mit seinem Beschluss vom 13. Januar 2022 (Az. 20 W 5/22) eine wichtige Entscheidung hinsichtlich der gerichtlichen Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern bei Vakanz getroffen und bei einer Übernahmesituation einen dringenden Fall gem. § 104 Abs. S. 2 AktG angenommen.

Sachverhalt

Bei einer außerordentlichen Hauptversammlung einer Bank sind drei der ursprünglich zwölf Aufsichtsratsmitglieder abgewählt worden. Die Wahl dreier neu vorgeschlagener Aufsichtsratsmitglieder wurde jedoch abgelehnt. Der Aufsichtsrat bestand seitdem nur noch aus neun Mitgliedern, wobei es sich um fünf Anteilseigner- und vier Arbeitnehmervertreter handelte, statt den satzungsmäßig vorgeschriebenen zwölf Mitgliedern (acht Anteilseigner-und vier Arbeitnehmervertreter). Daraufhin beantragte unter anderem der Aufsichtsratsvorsitzende eine gerichtliche Bestellung von Nachfolgern für die ausgeschiedenen Aufsichtsratsmitglieder gemäß § 104 Abs. S. 2 AktG. Die Anträge wurden von dem Amtsgericht Wiesbaden mit dem Hinweis des Nichtvorliegens eines dringenden Falles nach § 104 Abs. S. 2 AktG abgelehnt.

Entscheidung

In seiner Entscheidung bestätigte das Oberlandesgericht, dass die Antragssteller zu Recht von dem Vorliegen eines Falles gemäß § 104 Abs. S. 2 AktG ausgegangen sind und die Frist von drei Monaten gemäß § 104 Abs. S. 1 AktG demnach nicht einzuhalten war.

Das Gericht begründete seine Entscheidung mit der Tatsache, dass seit einiger Zeit ein Übernahmegebot im Raum stehe. Bereits dieser Umstand rechtfertige es, dass der Aufsichtsrat der Bank nicht nur beschlussfähig, sondern auch vollständig besetzt sein müsse. Das Übernahmeangebot sei entscheidend für die Zukunft der Bank und es erfordere, dass der Aufsichtsrat auch in Form seiner Aufgabe als Überwachungsorgan der Geschäftsführung vollständig besetzt sei. Dabei betonte das Oberlandesgericht, das dies insbesondere auch voraussetze, dass das normale Verhältnis der den Aufsichtsrat repräsentierenden Gruppen von Anteilseignervertretern und Arbeitnehmervertretern gegeben sei. Eine Übernahmesituation stelle somit eine typische Situation eines dringenden Falles nach § 104 Abs. S. 2 AktG dar.

Daneben führte das Gericht aus, dass die Ablehnungsbegründung des Amtsgerichtes, die Annahme eines Übernahmeangebotes obliege nicht der Gesellschaft und dem Aufsichtsrat, für die Entscheidung eines dringenden Falles unerheblich sei.

Praxis

Mit seinem Beschluss entschied das OLG Frankfurt a. M., was einen wichtigen Grund i. S. d. § 104 Abs. S. 2 AktG für die gerichtliche Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern vor Ablauf der Frist nach § 104 Abs. S. 1 AktG darstellt. Durch diesen Beschluss können die Antragsberechtigten bereits vor einer Antragsstellung gem. § 104 Abs. S. 2 AktG im Falle einer Übernahmesituation davon ausgehen, dass ihrem Antrag stattgegeben wird.