Gesundheitsrecht/Health-Care – Urteil des BGH zum Gesamtschuldner-Innenausgleich bei grobem Behandlungsfehler

Der Bundesgerichtshof (Urteil vom 06.12.2022, VI ZR 284/19) präzisiert seine Rechtsprechung zum Gesamtschuldnerausgleich bei grobem Behandlungsfehler und stellt fest, dass die Grundsätze der Beweislastumkehr wegen eines groben Behandlungsfehlers auch im Rechtsstreit zwischen den Mitbehandlern des Patienten über den selbstständigen Ausgleichsanspruch des Gesamtschuldners nach § 426 Abs. 1 BGB anwendbar sind.

Zum Sachverhalt

Die Parteien des beim Bundesgerichtshof anhängigen Rechtsstreits, auf der Klageseite ein Berufshaftpflichtversicherer (Kläger) und als Drittwiderbeklagter der bei ihm versicherte Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, auf der Beklagtenseite ein weiterer Berufshaftpflichtversicherer (Beklagter zu 1. und Drittwiderkläger) und die bei ihm versicherte beklagte Hebamme (Beklagte zu 2.), stritten im Zusammenhang mit einem Geburtsschaden um Ansprüche auf Gesamtschuldnerausgleich. Die Patientin ist infolge der verfahrensgegenständlichen Behandlungsfehler und der Sauerstoffunterversorgung bei der Geburt und der anschließenden Hypoglykämie schwerstbehindert. Im Vorprozess hatte das Landgericht den drittwiderbeklagten Arzt und die beklagte Hebamme als Gesamtschuldner verurteilt, wegen einer Reihe von Fehlern bei der Geburt Schadenersatz nach § 116 SGB X aus übergegangenem Recht an deren gesetzliche Krankenkasse und Pflegekasse zu leisten.

Die Entscheidung

Es stellte sich für die Beurteilung der Ausgleichsansprüche für den Anspruch auf Innenausgleich nach § 426 Abs. 1 BGB die Frage, ob die für die Arzthaftung im Verhältnis zum Patienten anerkannte und nunmehr auch in § 630h Abs. 5 BGB geregelte Umkehr der Beweislast bei groben Behandlungsfehlern bei dem Gesamtschuldner-Innenausgleich unter den Schädigern greift. Der Bundesgerichtshof schloss sich im Urteil vom 06.12.2022 den Auffassungen an, die die Anwendung der Grundsätze der Umkehr der Beweislast bei grobem Behandlungsfehler befürwortet, jedenfalls für den Gesamtschuldner-Innenausgleich zwischen mehreren Behandlern und Klinikträgern eines Patienten. Das Gericht ging dabei davon aus, dass eine mit der des geschädigten Patienten vergleichbare Interessenlage auch bei einem Mitbehandler oder dem Patienten verpflichteten Klinikträger vorliege. Zudem spreche für eine Anwendung der Beweislastumkehr im Gesamtschuldner-Innenausgleich der Mitbehandler das grundsätzlich erstrebenswerte Ziel der Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen in dem Prozess zwischen dem Patienten und dem Arzt und dem Prozess zwischen den Behandlern. Zudem stellte der Bundesgerichtshof klar, dass, soweit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 06.10.2009, VI ZR 24/09  der Rechtssatz zu entnehmen sein sollte, dass ein eigener grober Behandlungsfehler eines Mitschädigers dessen Berufung auf die Beweislastumkehr im Gesamtschuldner-Innenausgleich gegenüber dem Mitschädiger, dem auch ein grober Behandlungsfehler vorzuwerfen sei, ausschließe ,daran nicht festgehalten werde.

Rechtliche und praktische Relevanz des Urteils

Die dargestellte Klarstellung der rechtlichen Rahmenbedingungen der Anwendbarkeit der Grundsätze der Beweislastumkehr im Gesamtschuldner-Innenausgleich bleibt insoweit zu beobachten, als der Bundesgerichtshof die vergleichbare Interessenlage „jedenfalls“ nur für die Fallgruppe des Gesamtschuldner-Innenausgleichs zwischen mehreren Behandlern und Klinikträgern eines Patienten bejahte und zudem ein nur „grundsätzlich“ erstrebenswertes Ziel der Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen konstatierte. Praktisch relevant sind über die Klarstellung der rechtlichen Rahmenbedingungen hinaus die vom Bundesgerichtshof für die Fallgruppe der Geburtsschadenfälle getroffenen Aussagen zur Abgrenzung der Pflichten von Arzt einerseits und Hebamme andererseits. Der Arzt ist verpflichtet, sich die ganze Zeit unmittelbar bei der Gebärenden aufzuhalten und er hat seine kurzfristige Erreichbarkeit sicherstellen. Im Falle der Anordnung eines Not-Kaiserschnitts muss dieser binnen 20 Minuten durchgeführt werden und mit Anordnung eines Not-Kaiserschnitts wegen eines auffälligen CTG muss der geburtshelfende Arzt zudem einen Babynotarzt hinzuziehen, der direkt nach der Entbindung des Kindes zur Verfügung steht. Bei pathologischem CTG und Nichterreichbarkeit des Arztes oder seiner nicht rechtzeitigen Rückkehr muss die Hebamme handeln und eigenständig die notwendigen Entscheidungen und Schritte einleiten und dabei auch entscheiden, ob ein Wehentropf abgeschaltet werden soll oder nicht.