BGH zur Zwangslizenz nach § 24 Abs. 1 PatG

Der BGH hat sich mit Urteil vom 04.06.2019 (X ZB 2/19 - Alirocumab) mit den Voraussetzungen beschäftigt, die an die Erteilung einer Zwangslizenz nach § 24 Abs. 1 PatG geknüpft werden.

Die Antragstellerinnen, die in Deutschland das Arzneimittel Praluent vertreiben, das den Wirkstoff Alirocumab enthält, haben vor dem Bundespatentgericht Klage auf Erteilung einer Zwangslizenz nach § 24 PatG gegen die Antragsgegnerin erhoben, die Inhaberin eines europäischen Patents ist, welches antigenbindende Proteine gegen das Protein PCSK9 betrifft. Dieses Protein beeinträchtigt den Abbau zu hoher Spiegel von Lipoproteinen niedriger Dichte (LDL-Cholesterinspiegeln). Der Wirkstoff Alirocumab hemmt das PCSK9-Protein und bewirkt damit eine Verringerung des LDL-Cholesterinwertes im Blut.

Die Antragsgegnerin vertreibt unter der Bezeichnung „Repatha“ ein Arzneimittel, das den ebenfalls gegen das Protein PCSK9 gerichteten Antikörper Evolocumab enthält. Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerinnen wegen Verletzung ihres Patents vor dem LG Düsseldorf unter anderem auf Unterlassung in Anspruch genommen.

Der X. Zivilsenat des BGH hat die Entscheidung des BPatG, wonach der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Erteilung einer Zwangslizenz nach § 24 PatG zurückgewiesen wurde, bestätigt.

Der BGH sieht – wie das BPatG – keine ausreichenden Bemühungen der Antragstellerinnen während eines angemessenen Zeitraums um die vertragliche Einräumung einer Lizenz an dem Patent. Da die Erteilung einer Zwangslizenz tief in das grundsätzliche Recht des Patentinhabers eingreift, frei zu entscheiden, ob und ggf. unter welchen Bedingungen er einem Dritten die Benutzung der erfindungsgemäßen technischen Lehre gestatten möchte, setze § 24 PatG nicht nur voraus, dass das öffentliche Interesse sachlich die Erteilung der Zwangslizenz gebietet. Der hoheitliche Eingriff in das dem Patentinhaber verliehene Ausschließlichkeitsrecht durch die staatliche Gewährung der Zwangslizenz müsse vielmehr auch deswegen erforderlich sein, weil sich der Patentinhaber dem „milderen Mittel“ der vertraglichen Einräumung einer Benutzungsgestattung zu angemessenen Bedingungen verweigert hat.

Welche Bemühungen nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 PatG erforderlich sind und über welchen Zeitraum sie sich erstrecken müssen, sei eine Frage des Einzelfalls. Im Streitfall haben die Antragstellerinnen erst spät überhaupt ihr Interesse an einer Lizenz bekundet und lediglich einen sehr niedrigen Lizenzsatz angeboten. Auf das Antwortschreiben der Antragsgegnerin, die eine Lizenzvergabe nicht schlechthin abgelehnt hat, hätten sie bis zur Entscheidung des Patentgerichts nicht reagiert. Weitere, während des Beschwerdeverfahrens übersandte Schreiben hat der BGH ebenfalls nicht als ernsthaftes Bemühen um eine vertragliche Einigung angesehen.

Darüber hinaus hat der BGH – wie das BPatG – ein die Erteilung einer Zwangslizenz gebietendes öffentliches Interesse verneint. Ein solches Interesse könne bejaht werden, wenn ein Arzneimittel zur Behandlung schwerer Erkrankungen therapeutische Eigenschaften aufweist, die die auf dem Markt erhältlichen Mittel nicht oder nicht in gleichem Maße besitzen, oder wenn bei seinem Gebrauch unerwünschte Nebenwirkungen vermieden werden, die bei Verabreichung der anderen Therapeutika in Kauf genommen werden müssen. Eine Zwangslizenz könne hingegen grundsätzlich nicht zugesprochen werden, wenn das öffentliche Interesse mit anderen, im Wesentlichen gleichwertigen Ausweichpräparaten befriedigt werden kann.

Maßgeblich für die Verneinung des öffentlichen Interesses war die Erwägung des BGH, dass seitens der Antragstellerinnen nicht glaubhaft gemacht worden sei, dass das Arzneimittel Praluent gegenüber dem Medikament Repatha der Antragsgegner greifbare therapeutische Vorteile bietet. Denn Praluent und Repatha beruhen auf dem gleichen Wirkungsmechanismus. Dieser begünstige den Cholesterinabbau und ermögliche eine deutliche Absenkung des Cholesterinspiegels, die nach den Ergebnissen der dazu durchgeführten Studien dazu führt, dass das Risiko eines schweren kardiovaskulären Vorfalls wie eines koronaren Herztodes, eines Herzinfarktes, eines Schlaganfalls oder einer instabilen Angina um etwa 15 % gesenkt wird. Da diese bedeutsame pharmakologische Wirkung von beiden Antikörpern erzielt wird, könne sie allein das öffentliche Interesse an der begehrten Zwangslizenz nicht begründen.

Auch sei nicht glaubhaft gemacht worden, dass die Gabe von Praluent die Mortalitätsrate mit diesem Wirkstoff behandelter Hypercholesterinämie-Patienten senke. Auch gäbe es keinen Anlass dafür, dass Praluent im Vergleich zu Repatha trotz übereinstimmendem Wirkungsmechanismus und trotz gleicher Wirksamkeit hinsichtlich des Risikos eines schweren kardiovaskulären Vorfalls – der wiederum das Risiko eines weiteren, tödlichen Infarktes oder Schlaganfalls erhöht – die Mortalitätsrate von Patienten senkt, die mit einem PCSK9-Hemmer behandelt werden.

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Dr. Anja Bartenbach, LL.M.

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