OLG Nürnberg – Ausnahme vom Grundsatz der Kerngleichheit

Das Oberlandesgericht Nürnberg hat mit seinem Urteil vom 29.11.2022 (Az. 3 U 493/22) entschieden, dass sich die aus der Markenverletzungshandlung ergebende Vermutung der Wiederholungsgefahr nicht auf sämtliche in Art. 14 Abs. 3 Markengesetz (MarkenG) gelisteten Handlungsmodalitäten erstreckt, wenn diese ausnahmsweise zur Verletzungshandlung im Kern nicht gleichartig sind.

Sachverhalt

Hintergrund der Entscheidung war der vor dem Landgericht (LG) Nürnberg geführte Rechtsstreit des Inhabers zweier deutscher Marken für Tauchzubehör gegen eine spanische Händlerin, die über ihre Internetseite sowie auf der Handelsplattform Amazon Tauchzubehör unter Verwendung der klägerischen Marken beworben bzw. angeboten hatte. Da darüber hinaus jedoch ein Aufdrucken der Marken auf den Produkten und deren Verpackung nicht festgestellt werden konnte, verurteilte das LG die Beklagte lediglich dazu, es zu unterlassen, unter den klägerischen Marken in der Bundesrepublik Deutschland Tauchzubehör anzubieten und zu bewerben.

Gegen dieses Urteil legte der Kläger Berufung beim Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg ein und beantragte, die Beklagte auch im Hinblick auf den „Besitz“, das „Vertreiben“, „Anbringen“ und „Herstellen“ zu verurteilen. Zur Begründung führte er aus, dass sich die Vermutung der Wiederholungsgefahr auch auf die anderen benannten Tathandlungen erstrecke.

Entscheidung

Die Berufung des Klägers hatte teilweise Erfolg. Das OLG verurteilte die Beklagte auch hinsichtlich der Verletzungshandlungen „Vertreiben“ und „Besitzen“, wies jedoch einen weitergehenden Unterlassungsanspruch bezüglich des Anbringens und Herstellens mangels Kerngleichheit ab.

Dem lag zugrunde, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) bereits die erstmalige Verwirklichung einer Markenverletzungshandlung die tatsächliche Vermutung der Wiederholungsgefahr begründet, und zwar nicht nur hinsichtlich identischer Verletzungsformen, sondern für alle im Kern gleichartigen Verletzungshandlungen. Grund für diese Erstreckung ist, dass im Grundsatz alle Handlungsmodalitäten der § 14 Abs. 3, Abs. 4 MarkenG als kerngleich angesehen werden.

Das OLG Nürnberg sah im vorliegenden Fall hinsichtlich des Anbringens und Herstellens eine Ausnahme von dieser grundsätzlichen Kerngleichheit als geboten an, da es sich bei diesen nach Lage der Dinge um völlig fernliegende Benutzungsarten handele. Bei der Beklagten als (bloßer) Händlerin bestünden keine Anhaltpunkte dafür, dass sie die klägerischen Marken auf Waren oder ihrer Aufmachung oder Verpackung anbringe oder unter diesen Marken Waren herstelle.

Demnach sei eine Ausnahme vom Grundsatz der Kerngleichheit im Einzelfall veranlasst, wenn vor dem Hintergrund des Charakteristischen der konkreten Verletzungshandlung eine Benutzungsart des § 14 Abs. 3 MarkenG nach Lage der Dinge völlig fernliegend erscheine.

Das „Vertreiben“ und „Besitzen“ sei hingegen zu der von der Beklagten verwirklichten Verletzungshandlung kerngleich. Denn der Besitz liege als typischer Vorfeldtatbestand auch bei Ausübung der tatsächlichen Sachherrschaft über markenverletzende Produkte im europäischen Ausland vor, wenn der damit verbundene Zweck des Anbietens und Inverkehrbringens im Inland erfolge. Entscheidend sei, dass dieser Zweck entweder bereits eingetreten oder derart unmittelbar bevorstehe, dass typischerweise ohne weitere Zwischenakte eine tatsächlich eintretende Markenkollision im Raum stehe.

Fazit

Die Entscheidung des OLG Nürnberg verbindet die bisher uneinheitliche Rechtsprechung des I. Zivilsenats des BGH zur Erstreckung der Wiederholungsgefahr (Erstreckung auf sämtliche Handlungsmodalitäten des § 14 Abs. 3 MarkenG (BGH GRUR 2006, 421, 424 Rn. 42 – Markenparfümverkäufe; BGH GRUR 2016, 197, 200 Rn. 47 – Bounty; a. A. BGH GRUR 2010, 1103, 1004 Rn. 22 – Pralinenform II) zu einem Regel-Ausnahme-Verhältnis der Kerngleichheit von Markenverletzungshandlungen.