LG München I zur Dringlichkeit bei notwendiger Untersuchung des mutmaßlich patentverletzenden Erzeugnisses

In der Entscheidung „Haarschneidegerät“ (Urteil vom 26.12.2022 – 21 O 12582/22) hat sich das LG München I mit der Voraussetzung der Dringlichkeit im einstweiligen Verfügungsverfahren auseinandergesetzt.

In der Entscheidung „Haarschneidegerät“ (Urteil vom 26.12.2022 – 21 O 12582/22) hat sich das LG München I mit der Voraussetzung der Dringlichkeit im einstweiligen Verfügungsverfahren auseinandergesetzt. 

Das LG München I betont, dass sich der Antragsteller/Verfügungskläger die erforderlichen Glaubhaftmachungsmittel, d.h. die angegriffene Ausführungsform, mit der gebotenen Eile beschaffen muss. Nach ständiger Rechtsprechung werde die einmonatige Dringlichkeitsfrist in Lauf gesetzt, wenn der Antragsteller/Verfügungskläger Kenntnis von der Verletzungshandlung und dem hierfür Verantwortlichen hat und er alle Informationen und Glaubhaftmachungsmittel besitzt, um mit Aussicht auf Erfolg einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stellen zu können. Sobald der Patentinhaber das mutmaßlich patentverletzende Erzeugnis in den Händen hat, treffe ihn die Obliegenheit, den betreffenden Gegenstand zügig und umfassend auf das Vorliegen einer Schutzrechtsverletzung zu untersuchen, also die notwendigen Untersuchungen alsbald in die Wege zu leiten, diese zielstrebig zum Abschluss zu bringen und, sofern sich ein positiver Befund ergibt, anschließend ohne übermäßiges Zögern die sich daraus ergebenden Verbietungsansprüche zu verfolgen.

Generell dürfe er dabei den sicheren Weg gehen und alle Glaubhaftmachungsmittel beschaffen, die bei einem denkbaren Verteidigungsverhalten des Gegners erforderlich werden können (OLG München, GRUR-RS 2021, 12272 – Cinacalcet; OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2013, 236, 238 – Flupirtin-Maleat). Maßgeblich sei stets, ob der Antragsteller/Verfügungskläger das Seinige getan hat, um seine Verbietungsrechte zügig durchzusetzen, also ob er seine Rechtsverfolgung in einer Weise vorantreibt, die die Ernsthaftigkeit seines Bemühens erkennen lässt und es deswegen objektiv rechtfertigt, ihm Zugang zum einstweiligen Rechtsschutzverfahren zu gewähren.

Darüber hinaus sei im Rahmen des Verfügungsgrundes darzulegen und glaubhaft zu machen, dass der Rechtsbestand des Verfügungspatents jedenfalls hinreichend gesichert ist. Insoweit sei grundsätzlich nur dann von einem hinreichend gesicherten Rechtsbestand auszugehen, wenn das Verfügungspatent bereits ein erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden hat.

In diesem Zusammenhang betont das LG München I, dass für europäische Patente ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung ihrer Erteilung eine Vermutung der Gültigkeit besteht. Für die Prüfung des hinreichend gesicherten Rechtsbestands des Verfügungspatents bedeute dies, dass aufgrund dieser vermuteten Gültigkeit zunächst von einem gesicherten Rechtsbestand auszugehen ist und es im zweiseitigen einstweiligen Verfügungsverfahren dem Antragsgegner/Verfügungsbeklagten obliegt, diese Vermutung zu erschüttern (so bereits LG München I, GRUR 2022, 1808 Rn. 68 – Fingolimod).

Das Verfügungsschutzrecht müsse mit einem Einspruch oder einer Nichtigkeitsklage angegriffen werden, damit sich Zweifel am Rechtsbestand des Verfügungspatents in einer Zurückweisung des Verfügungsantrags niederschlagen können, weil nur diese das Patent tatsächlich zu Fall bringen können (so auch OLG Düsseldorf, InstGE 7, 147 – Kleinleistungsschalter).

Quelle: LG München I, Urteil vom 26.12.2022 – 21 O 12582/22