BGH zur erfinderischen Tätigkeit im Sinne des § 4 PatG

Mit der Entscheidung „Kinderbett“ (vom 27.03.2018, X ZR 59/16) hat der BGH seine Rechtsprechung zum Naheliegen einer Erfindung zum Stand der Technik weiter fortgeführt.

Gegenstand der Entscheidung war ein europäisches Patent, welches ein leicht aufzubauendes Kinderbett mit einem Rahmen und einer Stoffbespannung betrifft. Zwischen den Parteien bestand Streit darüber, ob der Gegenstand des Streitpatents durch den entgegengehaltenen Stand der Technik nahegelegt wird. Die Klägerin hatte geltend gemacht, der Fachmann habe aufgrund seines Fachwissens Anlass gehabt, bei dem Kinderbett nach einer Entgegenhaltung Eckpfosten des Bettes und Halteelemente in ihren Funktionen umzukehren.

In diesem Zusammenhang führt der BGH aus, dass es für ein solches Naheliegen eines Gegenstandes einer Erfindung zum einen erforderlich ist, dass der Fachmann mit seinen durch seine Ausbildung und berufliche Erfahrung erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten in der Lage gewesen ist, die erfindungsgemäße Lösung des technischen Problems aus dem Vorhandenen zu entwickeln. Zum anderen müsse der Fachmann Grund gehabt haben, den Weg der Erfindung zu beschreiten. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH bedürfe es dazu in der Regel zusätzlicher, über die Erkennbarkeit des technischen Problems hinausreichender Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstiger Anlässe (BGH vom 30.04.2009, BGHZ 182, 1 Rn. 20 – Betrieb einer Sicherheitseinrichtung; vom 08.12.2009, GRUR 2010, 407 Rn. 17 – einteilige Öse).

Im vorliegenden Fall ergab sich auch aus dem Umstand, dass dem Fachmann die Innenverklemmung oder „Schlüsselschlitzmethode“ als solche bekannt war, keine Anregung für ihn, diese Aspekte heranzuziehen. Der in der Entgegenhaltung geschilderte Stand der Technik, das Halteelement mit dem Stoffteil mit einem in ein Loch des Eckpfostens eingreifenden Befestigungsmittel zusätzlich zu sichern, habe dem Fachmann keine Veranlassung gegeben, die Funktionen von Eckpfosten und Halteelement sozusagen umzukehren, um dem Bettpfosten die weitere Funktion beizumessen, den Stoff innenliegend verklemmen zu können. Denn dazu hätte – so der BGH – der Fachmann das sowohl der Entgegenhaltung als auch dem von dieser weiterentwickelten Stand der Technik zugrunde liegende Konzept verlassen müssen, die Stoffbespannung von außen oder mittels einer aus dem Stoff gebildeten Manschette um die als notwendige Rahmenbestandteile vorgegeben hingenommenen Eckpfosten des Bettes zu führen, um die Stoffbespannung sodann in möglichst einfacher und zuverlässiger sowie optisch ansprechender Weise an diesem Eckpfosten zu befestigen.

Mit Blick auf die bisherige Rechtsprechung betont der BGH, dass der Umstand, dass die Kenntnis eines technischen Sachverhaltes zum allgemeinen Fachwissen gehört, noch nicht belege, dass es für den Fachmann nahegelegen hat, sich bei der Lösung eines bestimmten Problems dieser Kenntnis zu bedienen (BGH vom 30.04.2009, GRUR 2009, 743 Rn. 37 – Airbag-Auslösesteuerung). Die grundsätzliche Möglichkeit der Verwendung der „Schlüsselschlitzmethode“ zur Befestigung, insbesondere einer Stoffbahn, besagt entgegen der Auffassung der Klägerin gerade nicht, dass für den Fachmann Anlass bestand, den Bettpfosten eine weitere Funktion beizumessen, um diese Technik zur Befestigung des Stoffteils einzusetzen.

Weiter geht der BGH auf den in der Rechtsprechung anerkannten Grundsatz ein, dass Veranlassung zur Heranziehung einer technischen Lösung, die als ein generelles, für eine Vielzahl von Anwendungsfällen in Betracht zu ziehendes Mittel ihrer Art nach zum allgemeinen Fachwissen des angesprochenen Fachmanns gehört, bereits dann bestehen kann, wenn es für die Anwendung dieser Lösung zwar kein konkretes Vorbild gibt, die Nutzung ihrer Funktionalität in dem betreffenden Zusammenhang sich aber als objektiv zweckmäßig darstellt und keine besonderen Umstände festzustellen sind, die eine Anwendung als nicht möglich, mit Schwierigkeiten verbunden oder sonst untunlich erscheinen lassen (vgl. BGH vom 11.03.2014, GRUR 2014, 647 – Farbversorgungssystem, und vom 26.09.2017, Mitt. 2018, 21 Rn. 113 –Spinnfrequenz). Der BGH kommt zu dem Ergebnis, dass dieser Grundsatz über die fehlende Anregung allerdings nicht hinweghelfe. Denn die generelle Eignung eines zum allgemeinen Fachwissen zählenden Lösungsmittels könne nur dann als Veranlassung zu ihrer Heranziehung genügen, wenn für den Fachmann ohne Weiteres erkennbar ist, dass eine technische Ausgangslage besteht, in der sich der Einsatz des betreffenden Lösungsmittels als objektiv zweckmäßig darstellt.

Bezogen auf den Fall bedeutet dies, dass das Wissen des Fachmanns um die „Schlüsselschlitzmethode“ als hinreichender Anlass zu ihrer Anwendung nur dann genügen könnte, wenn ihm die grundsätzliche Möglichkeit vor Augen stand, die Bettpfosten selbst als Halte- und Befestigungsmittel für die Stoffbespannung auszugestalten. An dieser Voraussetzung fehlt es im konkreten Fall allerdings, so dass der BGH die Neuheit des Patentanspruchs bejaht.

Quelle: BGH vom 27.03.2018, X ZR 59/16 – Kinderbett