Notwendige Privatgutachterkosten zur Ermittlung der verzugsbedingt entstehenden Mehrvergütung sind erstattungsfähig!

Sofern Kosten eines notwendigen Privatgutachtens zur Ermittlung der wegen einer Bauverzögerung entstehenden Mehrvergütung keine materiell-rechtliche Grundlage haben, können sie als Kosten des Rechtsstreits erstattungsfähig sein. Dies hat das OLG Dresden in seinem Urteil vom 25.03.2022 – 22 U 547/15 entschieden.

Sachverhalt

Der Auftragnehmer (AN) war auf der Grundlage eines VOB/B-Vertrages mit dem Bau einer Überführung beauftragt worden. Vorausgegangen war ein Vergabeverfahren. Sowohl das Vergabeverfahren als auch der Baubeginn verzögerten sich aus Gründen aus dem Risikobereich des AG. In der Folge meldete der AN verzögerungsbedingte Mehrvergütungsansprüche an, die vom AG zurückgewiesen wurden. Nachdem der AN seinen Anspruch durch einen Privatgutachter ermitteln ließ, machte er seinen Anspruch i. H. v. 520.000,00 € klageweise geltend. Dabei waren die aufgewendeten Gutachterkosten von 80.000,00 € vom Klageantrag mit umfasst.

Zunächst wurde dem AN ein materiell-rechtlicher Anspruch auf Ersatz der Privatgutachterkosten als Mehrvergütung i. S. d. § 2 Abs. 5 VOB/B zugesprochen. Der BGH hob dieses Urteil in seiner Entscheidung vom 22.10.2020 – VII ZR 10/17 auf und verwies die Sache zurück an das OLG Dresden. Der AN begehrt zumindest die Berücksichtigung im Rahmen der prozessrechtlichen Kostenentscheidung, §§ 91, 92 ZPO.

Entscheidung

Das OLG Dresden gab dem AN dem Grunde nach Recht, denn die Gutachterkosten erwiesen sich im konkreten Fall sowohl dem Grunde nach zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung als auch in der Höhe als notwendig.

Vorab hat das OLG Dresden alle in Betracht kommenden materiell-rechtlichen Anspruchsgrundlagen geprüft. Insbesondere unter Verweis auf den BGH, der die Geltendmachung dieser Aufwendungen als Teil der Mehrvergütung i. S. d. § 2 Abs. 5 VOB/B ausgeschlossen hatte, wurden sämtliche materiell-rechtlichen Ansprüche verneint. Die Gutachterkosten seien nach Ansicht des Gerichts auch nicht über die Anspruchsnorm des § 642 Abs. 1 BGB erstattungsfähig. Für die Zeit vor dem Zuschlag bestehe noch kein Werkvertrag. Der Bieter sei durch die Bindungsfrist beim Vergabeverfahren ausreichend geschützt, da er deren Verlängerung zustimmen müsse. Für die Zeit nach dem Zuschlag erlaube der Wortlaut der Norm – angemessene Entschädigung – lediglich die Vergütung der nutzlosen Bereitstellung personeller und sachlicher Mittel. Die Kosten der Ermittlung dieses Aufwands durch Gutachten o. Ä. gehöre nach Auffassung des Gerichts nicht dazu. § 642 Abs. 1 gewähre keinen umfassenden Schadenersatzanspruch. Ferner habe der AG nur die ihn treffenden Obliegenheiten verletzt, so dass ein Ersatz der Gutachterkosten auf Grundlage der §§ 280, 311 BGB, §§ 280, 286 BGB und § 6 Abs. 6 VOB/B ausscheide.

Anders beurteilt das OLG Dresden eine Erstattungsfähigkeit der Gutachterkosten im Rahmen eines prozessualen Kostenerstattungsanspruchs. Dieser sei nach Ansicht des Gerichts gegeben, sofern die Gutachterkosten notwendig und angemessen gewesen sind. Notwendigkeit ist gegeben, wenn die Einholung des Gutachtens unmittelbar prozessbezogen ist und eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die Maßnahme ex ante als sachdienlich ansehen durfte. In Abgrenzung dazu sind Gutachten zu sehen, die vorsorglich beauftragt und irgendwann in einen Prozess eingeführt werden, also abstrakter Natur sind. Für eine Erstattungsfähigkeit, so betonte das Gericht, sei vielmehr erforderlich, dass die Gutachten sich auf den konkreten Rechtsstreit beziehen und gerade mit Rücksicht auf diesen in Auftrag gegeben worden seien. Beispielhaft führt das Gericht den Fall an, dass ohne das Gutachten eine Partei infolge fehlender Sachkenntnis zu einem sachgerechten Vortrag nicht in der Lage ist. Ferner spielt die Eignung des Gutachtens zur Rechtsverfolgung oder –verteidigung eine Rolle. Sodann führt das Gericht für den vorliegen Fall aus, dass die Parteien bereits außergerichtlich über einen Anspruch auf Mehrvergütung aus § 2 Abs. 5 VOB/B stritten und anwaltliche Beratung in Anspruch genommen hatten, so dass ein Prozess wahrscheinlich war und das Gutachten daher zumindest der Vorbereitung eines solchen diente.

Praxishinweis

Ein Anspruch auf Kostenerstattung kann sich zum einen aus materiell-rechtlichen Gründen, aber auch aus einem prozessualen Erstattungsanspruch ergeben.

In materieller Hinsicht können Kosten eines Privatgutachtens nach der Entscheidung des BGH nicht mehr über § 2 Abs. 5 VOB/B geltend gemacht werden. Die übrigen Anspruchsgrundlagen setzen die Verletzung einer vertraglichen Pflicht voraus. Zumeist handelt es sich bei den Mitwirkungshandlungen des AG um bloße Obliegenheit, so dass auch diese Anspruchsgrundlagen dem AN nicht zum Erfolg verhelfen. Die Norm des § 642 BGB wiederum gewährt nur eine Entschädigung für den nicht erwirtschafteten Vergütungsanteil während des Annahmeverzuges, §§ 293 ff. BGB.

In Konsequenz folgt auf der Ebene der Kostenentscheidung ein nicht unerhebliches weiteres Risiko, denn eine Klageabweisung wirkt sich über § 92 ZPO unweigerlich negativ auf die Kostenquote aus. Notwendige und damit erstattungsfähige Kosten i. S. d. § 91 ZPO sind solche, die für Maßnahmen anfallen, die eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei als sachdienlich ansehen darf. In der besprochenen Entscheidung des OLG Dresden zählen Aufwendungen für ein vorprozessual erstattetes Privatgutachten dazu, wenn sie unmittelbar prozessbezogen sind, insbesondere wenn die Parteien infolge fehlender Sachkenntnis anderenfalls nicht zu einem sachgerechten Vortrag in der Lage sind. Dies gilt gerade für die schlüssige Darlegung von Verzögerungsschäden, die mit einem hohen Aufwand verbunden ist und die Werkunternehmer in der Praxis oftmals vor Probleme stellt. Für eine rechtssichere Durchsetzung ist der AN daher oftmals auf die Hilfe eines Gutachters angewiesen.