Neues zum betrieblichen Eingliederungsmanagement (kurz: BEM)

Die rechtmäßige Umsetzung des BEM i. S. d. § 167 Abs. 2 SGB IX stellt die Praxis regelmäßig vor große Herausforderungen. Wird das BEM nicht ordnungsgemäß durchgeführt, wird in einem darauffolgenden Kündigungsschutzprozess in der Regel die krankheitsbedingte Kündigung als unwirksam erachtet. Zwar gibt die einschlägige Norm selbst nicht viel her, umso dynamischer ist aber die Rechtsprechung.

Das BAG hat mit Urteil vom 15.12.2022, Az. 2 AZR 162/22, entschieden, dass die Einleitung eines BEM nicht davon abhängig gemacht werden darf, ob der Arbeitnehmer eine vorformulierte Datenschutzerklärung unterzeichnet. Zudem hat es klargestellt, dass die Zustimmung des Integrationsamts zu einer krankheitsbedingten Kündigung keine Vermutung begründet, dass die Kündigung auch durch ein BEM nicht hätte verhindert werden können.

DER FALL

Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten ordentlichen Kündigung.

Die Klägerin ist seit dem 01.01.1999 bei der Beklagten als Versicherungssachbearbeiterin beschäftigt, wobei sie seit dem 12.12.2014 ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt ist. Sie ist einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.

Mitte 2019 lud die Beklagte die Klägerin zu einem BEM ein. Die Klägerin teilte daraufhin zwar mit, dass sie an einem BEM teilnehmen wolle, unterzeichnete jedoch die ihr diesbezüglich von der Beklagten übermittelte datenschutzrechtliche Einwilligung nicht. Die Beklagte wies die Klägerin in der Folge mehrfach darauf hin, dass ohne die datenschutzrechtliche Einwilligung die Durchführung eines BEM nicht möglich sei.

Die Beklagte kündigte schließlich nach erteilter Zustimmung des Integrationsamtes das Arbeitsverhältnis ordentlich. Hiergegen wehrte sich die Klägerin mit einer Kündigungsschutzklage. Sie machte geltend, die Kündigung sei mangels sozialer Rechtfertigung unwirksam. Weder habe eine negative Zukunftsprognose vorgelegen noch eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen. Zudem hätten mildere Mittel zur Verfügung gestanden. Während das Arbeitsgericht Stuttgart (Urteil vom 19.05.2021, Az. 15 Ca 3932/20) die Klage noch als unbegründet abwies, hatte die Berufung der Klägerin vor dem LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 10.02.2022, Az. 17 Sa 57/21) Erfolg.

DIE ENTSCHEIDUNG

Das BAG hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen. Es hält die Kündigung für unverhältnismäßig und damit unwirksam.

Die Beklagte hätte die Einleitung des BEM nicht davon abhängig machen dürfen, dass die Klägerin die von der Beklagten vorformulierte Datenschutzerklärung über die Verarbeitung ihrer personenbezogenen sowie Gesundheitsdaten unterzeichne. § 167 Abs. 2 SGB IX sehe die schriftliche Zustimmung des Arbeitnehmers in die Verarbeitung seiner im Rahmen des BEM erhobenen personenbezogenen und Gesundheitsdaten nicht als tatbestandliche Voraussetzung für die Durchführung des BEM vor. In der Weigerung der Unterzeichnung der Einwilligungserklärung sei keine Ablehnung des BEM durch die Klägerin zu sehen. Diese habe vielmehr ihre Bereitschaft zur Teilnahme ausdrücklich kundgetan.

Es sei der Beklagten auch ohne die unterzeichnete Einwilligungserklärung möglich und zumutbar gewesen, zunächst mit dem beabsichtigten BEM zu beginnen. Sie hätte mit der Klägerin in einem Erstgespräch den möglichen Verfahrensablauf besprechen und versuchen können, die offenbar bei der Klägerin bestehenden Vorbehalte auszuräumen. Die Parteien hätten zudem den Kreis der am Verfahren nach § 167 Abs. 2 SGB IX mitwirkenden Stellen und Personen festlegen können. Erst in einem weiteren Termin seien dann mit den Verfahrensbeteiligten die in Betracht kommenden Möglichkeiten zu erörtern gewesen, ob und ggf. auf welche Weise die Arbeitsunfähigkeitszeiten der Klägerin reduziert werden können. In diesem Zusammenhang sei von ihnen auch darüber zu befinden gewesen, ob und ggf. welche Angaben über den Gesundheitszustand hierfür voraussichtlich erforderlich und auf welche Weise etwaige Gesundheitsdaten rechtskonform zu erheben und verarbeiten wären. Die Beklagte hätte das BEM nur dann „kündigungsneutral“ beenden können, wenn die Klägerin nicht bereit gewesen wäre, an dem weiteren Klärungsprozess konstruktiv mitzuwirken.

Die Darlegung, dass ein BEM nicht dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten vorzubeugen und das Arbeitsverhältnis zu erhalten, habe der Beklagten oblegen. Dem sei sie indes nicht nachgekommen.

Auch die Zustimmung des Integrationsamtes i. S. d. § 168 SGB IX begründe keine Vermutung dafür, dass ein BEM eine Kündigung nicht hätte verhindern können. Zwar habe der Senat in der Vergangenheit angenommen, dass nach einer Zustimmung des Integrationsamts zu einer verhaltensbedingten Kündigung nur bei Vorliegen besonderer Anhaltspunkte davon ausgegangen werden könne, dass ein Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX a. F. (jetzt: § 167 Abs. 1 SGB IX) die Kündigung hätte verhindern können, der Rechtssatz des Senates könne jedoch nicht auf das Verhältnis zwischen einem BEM und dem Zustimmungsverfahren vor dem Integrationsamt übertragen werden. Eine solche Vermutungswirkung finde bereits im Wortlaut des § 167 Abs. 2 SGB IX keine Stütze. Darüber hinaus hätten das BEM und das Zustimmungsverfahren vor dem Integrationsamt unterschiedliche Ziele, prozedurale Abläufe sowie Beteiligte. Der stattgebenden Entscheidung des Integrationsamts könne schließlich deshalb keine Bedeutung für die erweiterte Darlegungslast des Arbeitgebers zukommen, da sich die Wirksamkeit einer nachfolgend erklärten Kündigung nach arbeitsrechtlichen Normen aufgrund des von den Parteien im Kündigungsschutzverfahren gehaltenen Sachvortrags beurteile und allein den Gerichten für Arbeitssachen obliege.

FAZIT

Die Rechtsprechung zum BEM bleibt also spannend und verdeutlicht einmal mehr, dass die Praxis penibel auf eine ordnungsgemäße Durchführung zu achten hat. Anderenfalls droht die Gefahr, dass eine krankheitsbedingte Kündigung vor Gericht nicht standhält.

Die Entscheidung schafft aber insoweit Klarheit, dass wegen einer Zustimmung des Integrationsamtes nicht auf die Durchführung eines BEM verzichtet werden kann und dass die Weigerung der Abgabe einer unterzeichneten datenschutzrechtlichen Einwilligungserklärung nicht zwangsläufig als eine Ablehnung des BEM anzusehen ist.