Urheberrecht: Konkretisierung des Zitatrechts und der Tagesberichtserstattungsschranke durch den EuGH

Entgegen der bisherigen nationalen BGH-Rechtsprechung setzt nach Auslegung des EuGH (Urteil vom 29.07.2019 – Rs. C-516/17) die Tagesberichtserstattungsschranke des § 50 UrhG nicht voraus, dass es dem Berichterstatter unmöglich gewesen wäre, eine Einwilligung des Urhebers in die Nutzung seines Werkes einzuholen. Weiterhin greift das Zitatrecht des § 51 UrhG nach Ansicht des EuGH auch dann, wenn das Zitat nicht untrennbar in das neue Werk eingebunden ist, sondern aus einem Hyperlink auf eine selbständig abrufbare Datei besteht.

Dem Urteil lag ein Vorabentscheidungsersuchen des BGH zugrunde (Beschluss vom 27.07.2017 – I ZR 228/15). Im Ausgangsverfahren hatte sich ein Grünen-Politiker, der bis 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages war, gegen die Veröffentlichung eines von ihm in den 1980er Jahren verfassten Buchbeitrags und des zugrunde liegenden Manuskripts auf dem Internetportal eines bekannten Nachrichtenmagazins gewandt. Mit dem Text trat er für eine teilweise Entkriminalisierung von bestimmten sexuellen Handlungen Erwachsener an Kindern ein. Der Aufsatz wurde 1988 in einem Sammelband veröffentlicht, wobei der Herausgeber eine Zwischenüberschrift änderte sowie einen Satz geringfügig kürzte. Von dieser Veröffentlichung hatte sich der Politiker in den Folgejahren wiederholt distanziert, da nach seiner Ansicht das Manuskript durch die Änderung des Herausgebers im Sinn verfälscht worden sei. 2013 wurde das Ursprungsmanuskript des Klägers aufgefunden. Die Berichterstattung des Nachrichtenmagazins befasste sich mit einem Vergleich des Buchbeitrags und des nun aufgefundenen Manuskripts und stellte dabei die These auf, dass die zentrale Aussage des Klägers in dem Buchbeitrag sehr wohl noch erhalten sei und der Politiker somit die Öffentlichkeit jahrelang über die von ihm behauptete Verfälschung des Textes getäuscht habe.

In Beantwortung der Vorlagefragen urteilte der EuGH zur Schrankenregelung des § 50 UrhG (Umsetzung von Art. 5 Abs. 3 lit. c RiLi) nun, dass die Richtlinie es nach ihrem Wortlaut nicht verlange, vor der Vervielfältigung oder öffentlichen Wiedergabe eines geschützten Werks zu Zwecken der Tagesberichterstattung die Zustimmung des Rechtsinhabers einzuholen. Das Gericht begründete diese Auslegung insbesondere damit, dass es bei der Berichterstattung über Tagesereignisse in der Regel erforderlich sei, die entsprechenden Informationen rasch zu übermitteln. Dies ließe sich nur schwer mit dem Erfordernis einer vorherigen Zustimmung des Urhebers vereinbaren. Dass es sich bei dem Auffinden des Manuskripts und der Konfrontation des Politikers mit diesem um ein Tagesereignis handelte, hatte bereits der BGH in seinem Vorlagebeschluss festgestellt. Selbiger hat nun weitergehend zu prüfen, ob die Veröffentlichung der Originalfassung des Manuskripts und des Buchbeitrags ohne Vermerke des Politikers, in denen er sich vom Inhalt dieser Dokumente distanziert, erforderlich war, um das mit der Berichterstattung verfolgte Informationsziel zu erreichen.

Zum Zitatrecht des § 51 UrhG stellte der EuGH fest, dass weder der Wortlaut des damit umgesetzten Art. 5 Abs. 3 lit. d der Richtlinie noch die Auslegung des Begriffs „Zitat“ seinem Wortsinn nach erforderten, dass das Zitat untrennbar mit dem wiedergebenden Werk verbunden sein müsse. Vom Zitatrecht könne daher auch die Verlinkung auf eine selbständig abrufbare Datei umfasst sein. Dies sei insbesondere vor dem Hintergrund des Nutzens von Hyperlinks zur effizienten Informationsverbreitung im Internet geboten.

Abschließend setzte sich der EuGH noch mit der in Art. 5 Abs. 3 lit. d RiLi niedergeschriebenen Voraussetzung des Zitatrechts auseinander, nach der das Zitat in einem Werk enthalten gewesen sein muss, das der Öffentlichkeit bereits rechtmäßig zugänglich gemacht wurde. Im vorliegenden Fall habe nun der BGH zu prüfen, ob die geringfügigen Änderungen des Herausgebers des Sammelbands dazu geführt hätten, dass die Buchveröffentlichung mangels Zustimmung des Politikers dazu der Öffentlichkeit nicht mehr rechtmäßig zugänglich gemacht wurde. Weiterhin muss der BGH hinsichtlich des Manuskripts prüfen, ob der Politiker dieses durch die Veröffentlichung auf seiner Homepage nur mit einem Distanzierungsvermerk versehen öffentlich zugänglich gemacht hat.

Die EuGH-Entscheidung bedeutet hinsichtlich des § 50 UrhG eine Erweiterung der bisherigen Schrankenauslegung, die die Nichteinholbarkeit einer Zustimmung des Urhebers als Voraussetzung ansah. Ob es darüber hinaus die Meinungs- und Informationsfreiheit rechtfertigen kann, Werke im Rahmen des § 50 oder § 51 UrhG auch ohne Distanzierungsvermerke des ursprünglichen Urhebers zu veröffentlichen, bleibt im Hinblick auf die nun ausstehende BGH-Rechtsprechung abzuwarten.