ArbG Kiel: Fernbleiben vom Arbeitsplatz aus Sorge vor Ansteckung kann fristlose Kündigung rechtfertigen

Die beharrliche Weigerung eines Arbeitnehmers, seine arbeitsvertragliche Tätigkeit vor Ort im Betrieb zu erbringen, um eine bevorstehende Urlaubsreise nicht durch eine Ansteckung mit dem SARS-CoV-2-Virus zu gefährden, kann eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB rechtfertigen, so die Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts Kiel (Urteil v. 11.03.2021 – 6 Ca 1912 c/20).

Der Fall

Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

Der Kläger war seit 2016 bei der Beklagten als Web-Entwickler beschäftigt. Vor dem Hintergrund möglicher Ansteckungsgefahren im Betrieb aufgrund der Corona-Pandemie teilte der Kläger der Beklagten im März 2020 mit, dass er Risikopatient sei. Ab diesem Zeitpunkt erfüllte er seine arbeitsvertragliche Tätigkeit für die Beklagte aus dem Homeoffice. Für den Zeitraum ab Mitte Dezember 2020 beantragte der Kläger bei der Beklagten einen fünfwöchigen Erholungsurlaub. Die Beklagte genehmigte den beantragten Urlaub des Klägers mit der Maßgabe, dass er in den beiden Wochen vor Urlaubsantritt zwei neu eingestellte Mitarbeiter vor Ort im Betrieb der Beklagten einarbeiten sollte. Die beiden neuen Mitarbeiter sollten den Kläger während dessen urlaubsbedingter Abwesenheit vertreten. Am 01.12.2020 und am 04.12.2020 erschien der Kläger im Betrieb und widmete sich der erforderlichen Einarbeitung der beiden Neuzugänge. Sodann beendete der Kläger jedoch die Einarbeitung eigenmächtig am 04.12.2020 um 13 Uhr und teilte dem Geschäftsführer der Beklagten mit, dass die Einarbeitung aus seiner Sicht abgeschlossen sei. Die klägerische Auffassung teilte der Geschäftsführer der Beklagten nicht, so dass er den Kläger anwies, die Einarbeitung im Betrieb bis zum Urlaubsbeginn des Klägers fortzusetzen. Dies lehnte der Kläger ab und erschien ab Montag, 07.12.2020 nicht mehr im Betrieb der Beklagten. Zur Begründung führte er an, er wolle wegen einer möglichen Ansteckungsgefahr mit dem SARS-CoV-2-Virus nicht persönlich im Betrieb erscheinen. Seine Urlaubsreise ins Ausland sei bereits geplant und er wolle nicht das Risiko eingehen, sich kurz vor Urlaubsantritt noch im Betrieb zu infizieren. Auf eine nochmalige Nachfrage der Beklagten, ob es sich um einen finalen Entschluss handle, bestätigte der Kläger dies und erschien auch weiterhin nicht an seinem betrieblichen Arbeitsplatz. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich. Hiergegen wandte sich der Kläger mit einer Kündigungsschutzklage. Im Rahmen des arbeitsgerichtlichen Verfahrens legte der Kläger ein Attest vor, das ihn als Asthma-Risikopatient auswies.

Die Entscheidung

Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage abgewiesen und sich dahin gehend positioniert, dass ein wichtiger Kündigungsgrund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vorliege. Dabei hat das Arbeitsgericht zunächst festgestellt, dass die beharrliche Arbeitsverweigerung eines Arbeitnehmers, seine arbeitsvertraglichen Pflichten zu erfüllen, „an sich“ geeignet sei, eine außerordentliche, fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Die seitens der Beklagten angewiesene Tätigkeit der Einarbeitung neuer Mitarbeiter vor Ort im Betrieb sei eine rechtmäßig zugewiesene Tätigkeit gewesen. Insbesondere habe die Tätigkeit des Klägers im Homeoffice seinen regelmäßigen Arbeitsort nicht dauerhaft auf das Homeoffice konkretisiert. Das Arbeitsgericht stellte ferner klar, dass die Beklagte auch nicht gegen ihre Schutzpflicht gem. § 618 BGB in Verbindung mit öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutznormen verstoßen habe, indem sie den Kläger aufforderte, zwecks Einarbeitung im Betrieb zu erscheinen. Die Vorgaben des § 4 ArbSchG und der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel in der damaligen Fassung und des Arbeitsschutzstandards seien gewahrt gewesen. Eine Homeoffice-Angebotspflicht gemäß SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung habe im Zeitpunkt der arbeitgeberseitigen Weisung noch nicht bestanden. Der Kläger habe nicht dargelegt, dass er aufgrund einer Vorerkrankung ein attestiertes derartig hohes Risiko für einen schweren Corona-Erkrankungsverlauf hätte, dass jegliche Beschäftigung im Büro unverantwortlich wäre. Dies ergebe sich nicht aus dem vorgelegten Attest, das im Übrigen nicht auf den Weisungszeitpunkt zurückwirke. Hierbei stellte das Arbeitsgericht auch darauf ab, dass der Kläger seine Arbeitsverweigerung nicht einmal mit einem etwaigen erhöhten Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs begründet habe, sondern ausdrücklich mit der Gefährdung seiner Urlaubsreise. Die Argumentation des Klägers, sich auf ein besonderes Erkrankungsrisiko zu berufen, sei wenig glaubhaft vor dem Hintergrund, dass er sehr wohl bereit sei, das Risiko einer Reise ins Ausland einzugehen, so die erkennende Kammer. Zudem hätte es dem Kläger aufgrund seiner hervorgehobenen Position und seines langen Erholungsurlaubs einleuchten müssen, wie wichtig die akkurate Einarbeitung der neuen Mitarbeiter für die Beklagte war. Der Kläger habe mit bemerkenswerter Deutlichkeit seine privaten Urlaubsinteressen über die Interessen der Beklagten an einem ordnungsgemäßen Betriebsablauf gestellt, so dass es keiner Abmahnung bedurft hätte.

Fazit

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts und die Interessenabwägung im konkreten Einzelfall sind überzeugend. Zwar sehen die neue Fassung der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung und § 28b Abs. 7 Satz  IfSG eine grundsätzliche Homeoffice-Angebotspflicht vor, soweit keine zwingenden betrieblichen Gründe entgegenstehen. Vor diesem Hintergrund wäre aktuell zu prüfen, ob die erforderliche Einarbeitung neuer Mitarbeiter im Betrieb einen solchen zwingenden Grund darstellen können. Selbst wenn es zu dieser Frage noch keine gefestigte Rechtsprechung gibt, spricht vieles dafür, dass eine auf zwei Wochen begrenzte Einarbeitung zwecks Kennenlernens der betrieblichen Strukturen vor Ort und notwendiger betrieblicher Abläufe einen zwingenden Grund im Sinne von § 28b Abs. 7 Satz 1 IfSG darstellt und eine entsprechende Weisung weiterhin wirksam bleibt.