Wie lang können eigentlich zwei Wochen sein? Und wann beginnt die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen?

Ist der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung auch nach Ablauf von fast 18 Monaten bei zeitintensiven Ermittlungen noch möglich? Ja, so jetzt das BAG folgerichtig in seinem Urteil vom 05.05.2022 zu Az. 2 AZR 483/21.

Das BAG hat entschieden, dass eine außerordentliche Kündigung auch bei lang andauernden und komplexen Compliance-Untersuchungen (hier mit einer Dauer von 18 Monaten) noch ausgesprochen werden kann.

DER FALL

Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, die die Arbeitgeberin gegenüber dem tariflich unkündbaren Kläger nach Abschluss einer unternehmensinternen, etwa 18 Monate andauernden, Compliance-Untersuchung ausgesprochen hatte.

Ein Arbeitnehmer war als Vertriebsleiter der Defence-Abteilung bei einem Unternehmen beschäftigt, welches Aufträge des Bundesverteidigungsministeriums und der Bundeswehr annahm. Zur Vorbereitung von Beschaffungsaufträgen erstellten die Auftraggeber geheime explizit als Verschlusssache deklarierte Dokumente. Der Vertriebsleiter gab ein als solches deklarierte Papier über ein zukünftiges Beschaffungsvorhaben des Verteidigungsministeriums an Kollegen weiter.

Als die Compliance-Abteilung im Juli 2018 davon erfuhr, bildete sie ein Compliance-Team und beauftragte im Oktober 2018 eine Rechtsanwaltskanzlei mit der Untersuchung des Vorfalls. Die Anwälte ermittelten gemeinsam mit dem Compliance-Team, dass insgesamt 89 Personen involviert waren. Nach etwa elf Monaten erstellten sie einen vorläufigen Zwischenbericht für die Geschäftsführung. Der Bericht wurde dem Geschäftsführer am 16. September 2019 übergeben. Zehn Tage nach Erhalt dieses Berichts kündigte der Geschäftsführer unter vorheriger Anhörung des Arbeitnehmers sowie des Betriebsrats dem Vertriebsleiter außerordentlich. Dagegen erhob der Arbeitnehmer erfolgreich Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Ulm. Das LAG Baden-Württemberg (Urteil v. 03.11.2021 – 10 Sa 7/21) hatte die Berufung der Arbeitgeberin zurückgewiesen, da die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB abgelaufen sei. Das LAG Baden-Württemberg argumentierte, der kündigungsberechtigte Geschäftsführer habe die Ermittlungen vollständig aus der Hand gegeben, ohne sich regelmäßig über relevante Zwischenstände informieren zu lassen. Aufgrund dieses Organisationsverschuldens müsse er sich die (frühere) Kenntnis des Leiters der Compliance-Abteilung zurechnen lassen. Das BAG ließ dies nicht gelten und hob die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg auf.

DIE ENTSCHEIDUNG

Das BAG hat entschieden, dass der Arbeitgeber im vorliegenden Fall die zweiwöchige Ausschlussfrist zur außerordentlichen Kündigung gem. § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB eingehalten hat. Die 2-Wochen-Frist habe erst mit dem Zugang des Zwischenberichts der Rechtsanwaltskanzlei an den Geschäftsführer am 16.09.2019 begonnen. Denn erst dieser Untersuchungsbericht habe alle Tatsachen enthalten, die für die Bewertung der Pflichtverletzung und die Herausarbeitung der Beteiligung der Personen wichtig waren.

Auch die regelmäßige Unterrichtung des Leiters des Compliance-Teams über die jüngsten Ermittlungsergebnisse ändere hieran nichts, denn selbst wenn er bereits vor dem Zugang des Berichts vollständig informiert gewesen wäre, wäre dieser Umstand unerheblich. Maßgeblich sei einzig und allein die Kenntnis eines kündigungsberechtigten Mitglieds des Arbeitgebers – hier der Geschäftsführung. Die Erfurter Richter verneinten insbesondere auch die rechtsmissbräuchliche Behinderung der vorherigen Kenntnisnahme der kündigungsrelevanten Tatsachen nach § 242 BGB. So ergäben die Feststellungen des landesarbeitsgerichtlichen Urteils keine Anhaltspunkte für eine zielgerichtete Vereitelung des Informationsflusses hin zur Geschäftsführung. Selbst wenn man von einem Organisationsverschulden ausginge, begründete das noch keine unzulässige Behinderung, sondern höchstens grobe Fahrlässigkeit. Maßgeblich sei gerade – entsprechend des Wortlauts des § 626 Abs. 2 BGB – die Kenntnis und nicht die grobfahrlässige Unkenntnis der für die Kündigung maßgeblichen Tatsachen. Im Übrigen, so das BAG, spreche die Einrichtung einer Compliance-Abteilung und die Unterbrechung der Untersuchung, um den vorläufigen Bericht für die Geschäftsführung zu erstellen, gerade für die Redlichkeit des Unternehmens. Das Urteil wurde daher vom BAG aufgehoben und an das LAG zurückverwiesen.

Praxis-Tipp

Erst die Kenntnisnahme einer zur Kündigung berechtigten Person beim Arbeitgeber von allen zur Kündigung relevanten Tatsachen setzt die 2-Wochen-Frist zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitnehmers in Gang. Arbeitgeber sollten – sobald der Ausspruch einer fristlosen Kündigung intendiert ist – die einzelnen Schritte der Sachverhaltsaufklärung detailliert schriftlich festhalten, um im Fall einer gerichtlichen Prüfung lückenlos darstellen zu können, wann welche Ermittlungsschritte eingeleitet und durchgeführt wurden und wer und vor allem zu welchem Zeitpunkt über welche Tatsachen informiert wurde. Die BAG-Rechtsprechung hat klargestellt, dass die Beauftragung der eigenen Compliance-Abteilung oder externer Dritte (wie z. B. Rechtsanwälte) mit der Durchführung einer internen Ermittlung regelmäßig nicht die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB in Gang setzt, da diese für sich genommen nicht treuwidrig, sondern sachgerecht ist.

Entscheidend dafür, wie lange die Untersuchungen andauern dürfen, sind stets die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Komplexität der Untersuchungen und die Erschließung des Sachverhalts.

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Anne C. Jonas

Anne C. Jonas

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