VG Bayreuth: 15-tägige behördlich angeordnete Quarantäne stellt keine vorübergehende Verhinderung nach § 616 BGB dar

Eine insgesamt fünfzehntägige Quarantäne überschreitet in aller Regel die Grenze der „verhältnismäßig nicht erheblichen“ Zeit im Sinne des § 616 Satz 1 BGB, sodass im Falle des Vorliegens der weiteren Voraussetzungen ein Arbeitgeber einen Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung nach §§ 56, 57 IfSG hat, so die Rechtsaufassung des Verwaltungsgerichts Bayreuth (Gerichtsbescheid v. 05.05.2021 – B 7 K 21.210).

Der Fall

Die Parteien stritten über eine Entschädigung für den Verdienstausfall einer Arbeitnehmerin des Klägers durch den Beklagten.

Die Klägerin ist Arbeitgeberin, deren Arbeitnehmerin vom 12.04.2020 bis einschließlich 26.04.2020 aufgrund der Anordnung einer Quarantäne gem. §§ 28 Abs. 1, 30 Abs. 1 IfSG wegen eines engen Kontakts mit einer Covid-19-positiven Person der Arbeit fernblieb. Die Klägerin beantragte eine Verdienstausfallentschädigung nach § 56 IfSG für den Zeitraum der quarantänebedingten Abwesenheit der Arbeitnehmerin. Dem Antrag wurde zum Teil stattgegeben. Anspruch auf Entschädigung bestehe laut des Beklagten aber nur für die Zeit vom 16.04.2020 bis 26.04.2020. Für die Berechnung der Entschädigung sei die in § 616 BGB genannte „nicht erhebliche Zeit“ mit vier Tagen festgesetzt worden, so dass die Entschädigung erst ab dem fünften Tag der Absonderung gewährt werde. Zur Begründung führte er an, die Absonderung der Arbeitnehmerin der Klägerin stelle für diese einen von ihr unverschuldeten, in ihrer Person liegenden Grund für die Hinderung an der Arbeitsleistung dar. Aus § 616 Satz 1 BGB folge, dass der Vergütungsanspruch der Arbeitnehmerin für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit fortbestehe. Der Beklagte habe diese Auffassung den Regierungen in Form ministerieller Vollzugshinweise als Richtschnur für die Bearbeitung von Anträgen nach § 56 IfSG entnommen.

Hiergegen wandte sich die Klägerin mit der Klage vor dem Verwaltungsgericht Bayreuth.

Die Entscheidung

Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben und sich dahin gehend positioniert, dass eine insgesamt fünfzehntägige Quarantäne in aller Regel die Grenze der „verhältnismäßig nicht erheblichen“ Zeit i.S.d. § 616 Satz 1 BGB überschreitet. Dabei hat das Verwaltungsgericht zunächst festgestellt, dass ein Anspruch der Klägerin auf Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 1 IfSG dem Grunde nach für den gesamten Zeitraum der quarantänebedingten Ausfallzeit der Arbeitnehmerin der Klägerin besteht, da diese Ansteckungsverdächtige (§ 2 Nr. 7 IfSG) und keine „Kranke“ i.S.d. § 2 Nr. 4 IfSG war.

Mit Blick auf § 616 Satz 1 BGB fehle es ferner nicht an dem Tatbestandsmerkmal des Verdienstausfalls. Zwar läge ein Verdienstausfall dann nicht vor, wenn die Arbeitnehmerin einen Lohnfortzahlungsanspruch gegenüber ihrem Arbeitgeber hätte, wie er sich grundsätzlich auch aus § 616 Satz 1 BGB ergeben kann, wonach der zur Dienstleistung Verpflichtete seines Vergütungsanspruchs nicht dadurch verlustig geht, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird. Die behördlich angeordnete Quarantäne sei ein solcher in der Person der Arbeitnehmerin liegender Grund im Sinne eines subjektiven Leistungshindernisses nach § 616 Satz 1 BGB. Denn auch wenn die Pandemie als solche ein globales und gesamtgesellschaftliches Ereignis ist, sei der Anlass der Quarantäneanordnung im Einzelfall in hohem Grade von der betroffenen Person und den jeweiligen Umständen abhängig. Die einzelfallbezogene Beurteilung der Infektionsgefahr vor der Anordnung der Quarantäne führe dazu, dass das daraus resultierende Leistungshindernis kein objektives Leistungshindernis darstelle.

Jedoch bestehe die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers gem. § 616 Satz 1 BGB nur für eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“. § 616 BGB sei Ausdruck des Rechtsgedankens, wonach unerhebliche Leistungsdefizite den Anspruch auf die Arbeitsvergütung nicht entfallen lassen solle. Weil hierdurch der arbeitsrechtliche Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn“ ausnahmsweise durchbrochen wird, sei die Norm eng auszulegen. Jedenfalls seien die Wertungen speziell ausgestalteter Normen zur Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers nicht ohne weiteres auf die Auslegung von § 616 BGB übertragbar, allen voran nicht die sechswöchige Frist des § 3 EFZG. § 616 BGB ist anders als § 3 EFZG dispositiv und § 3 EFZG liege eine andere Zielsetzung zugrunde. Es seien in der Regel damit nur wenige Tage unter die Unerheblichkeitsschwelle des § 616 BGB zu fassen und keine mehr als zweiwöchige Quarantäne.

Eine Aufteilung des Gesamtzeitraums der Quarantäne in einen anteilig „nicht erheblichen“ und einen verbleibenden „erheblichen“ Zeitraum, sei darüber hinaus nicht möglich. Denn bei dem Kriterium der „verhältnismäßig nicht erheblichen Zeit“ in § 616 Satz 1 BGB handele es sich um ein Tatbestandsmerkmal. § 616 BGB sei damit eine „Alles-oder-Nichts“-Vorschrift, d.h. bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen trete die Fortzahlungspflicht für den gesamten Zeitraum ein.

Zusammenfassend sei daher festzustellen, dass der insgesamt zu betrachtende Zeitraum, für den die Klägerin Verdienstausfallentschädigung beantragt hat, nicht i.S.d. § 616 Satz 1 BGB „verhältnismäßig unerheblich“ ist, und daher für den Gesamtzeitraum keine Lohnfortzahlungspflicht der Klägerin besteht. Mithin fehle es i.R.d. § 56 Abs. 1 IfSG auch nicht am Tatbestandsmerkmal des „Verdienstausfalls“. Der Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten bestehe daher für den gesamten geltend gemachten Zeitraum.

Fazit

Die Entscheidung stellt das erste Mal dar, dass im Falle einer behördlich angeordneten Quarantäne die Behörde sich nicht auf § 616 BGB berufen könne, da dies nicht mehr eine verhältnismäßig unerhebliche Zeit sei. So hat der BGH in einer Entscheidung aus dem Jahr 1978 (Urt. v. 30.11.1978 – III ZR 43/77) über eine Quarantäne von Salmonellen-Ausscheidern in Anlehnung an § 3 EZFG eine Dauer von sechs Wochen noch als unerheblich beurteilt. In der behördlichen Praxis wurde vielfach unter Berufung auf das vorgenannte BGH-Urteil der Ausfall der Arbeitsleistung durch die behördlich angeordnete Quarantäne als verhältnismäßig unerheblich angesehen und den Arbeitgebern die Erstattung der Verdienstausfallentschädigung verweigert. Die Entscheidung des VG Bayreuth erteilt dieser Auslegung des § 616 BGB in Bezug auf die weltweite Covid-19-Pandemie eine Absage. Für Arbeitgeber gilt damit, dass die Entscheidung des VG Bayreuth ein erster Schritt dazu ist, dass nicht die Arbeitgeber die Kosten für die behördliche Quarantäneanordnung tragen müssen.

Rechtsanwalt Stephan Hinseln
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