Versetzung ins Ausland per Arbeitsanweisung

Wie weit reicht das Weisungsrecht des Arbeitgebers gem. § 106 Satz 1 GewO hinsichtlich der Versetzung eines Arbeitnehmers?

Das BAG hat mit Urteil vom 30.11.2022, Az. 5 AZR 336/21, entschieden, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer gem. § 106 Satz 1 GewO auch einen Arbeitsplatz im Ausland zuweisen kann, wenn die möglichen Arbeitsorte nicht durch Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung, Tarifvertrag oder gesetzliche Vorschriften auf das Inland begrenzt sind.

DER FALL

Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer Versetzung ins Ausland, die die Beklagte im Wege ihres Weisungsrechts vorgenommen hat.

Der Kläger, ein Verkehrspilot, arbeitete zunächst bei der Ryanair DAC und war am Flughafen Nürnberg stationiert. Sein Arbeitsverhältnis ging zum 01.01.2020 im Wege eines Betriebsübergangs auf die Beklagte, eine Fluggesellschaft mit Sitz in Malta, über.

Der zwischen den Parteien bestehende Arbeitsvertag aus Dezember 2017 enthielt nachfolgende Regelung zum Arbeitsort (aus dem Englischen übersetzt):

„Die Flugzeuge von Ryanair sind in der Republik Irland registriert, und da Sie Ihre Aufgaben mit diesen irischen Flugzeugen wahrnehmen werden, hat Ihr Arbeitsplatz seinen Sitz im Gebiet der Republik Irland. Sie befinden sich hauptsächlich am Nürnberger Airport und an einem anderen Ort oder anderen Orten, die das Unternehmen zur ordnungsgemäßen Erfüllung Ihrer Pflichten und Verantwortlichkeiten im Rahmen dieser Vereinbarung benötigt. Es ist eine Voraussetzung für Ihre Anstellung, dass Sie diese Anforderung erfüllen. Dies würde zur Vermeidung von Zweifeln eine entschädigungslose Übertragung auf einen der Standorte der Gesellschaft beinhalten. Es muss verstanden werden, dass Sie, wenn Sie auf eine andere Basis transferiert werden, in Übereinstimmung mit dem geltenden Gehaltssystem und der Bezahlung pro Flug dieser Basis bezahlt werden.“

Mit Schreiben vom 20.01.2020 versetzte die Beklagte, da sie den bisherigen Stationierungsort Nürnberg aufgab, den Kläger mit Wirkung zum 01.05.2020 an die Homebase am Flughafen Bologna, Italien. Hilfsweise sprach sie eine entsprechende Änderungskündigung aus, die der Kläger unter dem Vorbehalt ihrer sozialen Rechtfertigung annahm.

Der Kläger klagte vor dem Arbeitsgericht Nürnberg auf die Feststellung, dass die Versetzung unwirksam sei. Zudem beantragte er – für den Fall des Obsiegens mit dem obigen Antrag – festzustellen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die Änderungskündigung vom 20.01.2020 sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam sei. Er war der Ansicht, die Versetzung sei unwirksam, da § 106 Satz 1 GewO eine Versetzung ins Ausland nicht erfasse. Zumindest sei eine solche aber unbillig, weil ihm hinsichtlich seines tariflichen Vergütungsanspruchs – in Italien waren geringere Tarifgehälter vereinbart –  und auch ansonsten erhebliche Nachteile entstünden. Die Beklagte war der Ansicht, die Versetzung sei wirksam. Als Alternative sei lediglich eine betriebsbedingte Kündigung in Betracht gekommen. Ein freier Arbeitsplatz an einem inländischen Stationierungsort sei nicht vorhanden gewesen.

Das Arbeitsgericht Nürnberg (Urteil vom 29.10.2010, 9 Ca 797/20) wies die Klage ab, das Landesarbeitsgericht Nürnberg (Urteil vom 23.04.2021, 8 Sa 450/20) wies die daraufhin erfolgte Berufung zurück.

DIE ENTSCHEIDUNG

Das BAG hat entschieden, dass die Versetzung des Klägers an den Stationierungsort Bologna vom Weisungsrecht der Beklagten gedeckt und somit rechtswirksam ist.

Der Arbeitgeber könne aufgrund seines Weisungsrechts nach § 106 Satz 1 GewO dem Arbeitnehmer grundsätzlich auch einen Arbeitsplatz im Ausland zuweisen, wenn die möglichen Arbeitsorte nicht durch Arbeitsvertrag, Tarifvertag, Betriebsvereinbarung oder gesetzliche Vorschriften auf das Inland begrenzt sind. Eine grundsätzliche Begrenzung auf Arbeitsorte in der Bundesrepublik Deutschland sei dem Gesetz nicht zu entnehmen.

Im vorliegenden Fall sei der Arbeitsort des Klägers vertraglich weder ausdrücklich noch fest vereinbart. Zudem habe sich der Arbeitsort auch nicht auf den Stationierungsort Nürnberg oder zumindest einen nur inländischen Stationierungsort konkretisiert. Die Nichtausübung des Direktionsrechts über einen längeren Zeitraum habe keinen Erklärungswert und schaffe keinen Vertrauenstatbestand dahin gehend, dass der Arbeitgeber von seinem Recht in Zukunft nicht mehr Gebrauch machen wolle. Eine derartige Beschränkung der Ausübung des Direktionsrechts durch konkludentes Verhalten komme nur dann in Betracht, wenn besondere Umstände hinzutreten würden.

Der Arbeitsort des Klägers sei auch nicht durch Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung oder eines auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifvertrags festgelegt.

Das BAG nutzt die vorliegende Entscheidung, um die Überprüfungsmaßstäbe hinsichtlich des Weisungsrechts nach § 106 Satz 1 GewO erneut festzuhalten. Danach könne sich eine Beschränkung des Weisungsrechts dem Grunde nach (dem „Ob“) ausdrücklich oder konkludent aus den getroffenen vertraglichen Vereinbarungen oder den auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren kollektivrechtlichen Regelungen ergeben. Fehle es an einer solchen Einschränkung dem Grunde nach, unterliege die konkrete Ausübung des Weisungsrechts (das „Wie“) der Ausübungskontrolle, diese müsse daher billigem Ermessen entsprechen. Die Wahrung billigen Ermessens bei der Ausübung des Weisungsrechts erfordere eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, nach allgemeinen Wertungsgrundsätzen sowie nach Verkehrssitte und Zumutbarkeit, wobei in die Abwägung alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen seien. Sofern die Weisung jedoch auf einer unternehmerischen Entscheidung beruhe, komme dieser besonderes Gewicht zu, ohne dass das unternehmerische Konzept auf seine Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen wäre.

FAZIT

Mit der vorliegenden Entscheidung schafft das BAG weiter Klarheit hinsichtlich des örtlichen Weisungsrechts. Letztendlich wird die große räumliche Reichweite des Versetzungsrechts bestätigt, wenngleich es regelmäßig auf den Einzelfall ankommen dürfte. Erfreulich ist, dass das BAG ausdrücklich festgestellt hat, dass § 106 GewO das Weisungsrecht des Arbeitgebers nicht auf das Territorium der Bundesrepublik Deutschland beschränkt.

Es bleibt jedoch dabei, dass vor einer geplanten Versetzung nicht nur die einschlägigen Verträge (Arbeitsvertrag, Tarifvertrag), Betriebsvereinbarungen und gesetzlichen Vorschriften zu prüfen sind, sondern ebenso eine Billigkeitskontrolle vorzunehmen ist.