Neues zum Unfallschutz des Arbeitnehmers

Das Zurücklegen des Weges zum Holen eines Kaffees im Betriebsgebäude des Arbeitgebers steht regelmäßig im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit und ist ein Arbeitsunfall, so das Hessische LSG (v. 07.02.2023 – L 3 U 202/21).

Der Fall

Die Verwaltungsangestellte eines Finanzamtes rutschte auf dem Weg zum Kaffeeholen im Pausenraum aus und zog sich unter anderem den Bruch eines Lendenwirbels zu. Aus der Unfallanzeige ging hervor, dass die Angestellte wohl beim Betreten der Kantine auf dem zuvor durch ein Reinigungsunternehmen feucht gewischten Boden ausrutschte. Auf die Rutschgefahr wurde durch ein entsprechendes Warnschild hingewiesen.ie Unfallkasse Hessen lehnte daraufhin die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab, da kein Arbeitsunfall vorliegen würde. Der Versicherungsschutz würde nämlich regelmäßig mit dem Durchschreiten der Kantinentür enden und der Kantinenraum selbst wäre nicht durch die gesetzliche Unfallversicherung gedeckt.

Nach der Zurückweisung ihres Widerspruches erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Fulda und trug dort vor, dass der Grundsatz „der Versicherungsschutz endet an der Tür zur Kantine“, hier keine Anwendung finden könne, da es sich eben nicht um eine Kantine, sondern vielmehr eine Teeküche handle, deren Zweck allein die Getränkeversorgung der Arbeitnehmer durch Selbstbedienung sei.

Die Beklagte erwiderte, dass der Unfallversicherungsschutz an der Außentür des Raumes ende, in dem sich der Versicherte mit Nahrungsmitteln versorgen würde. Der Raum stehe als Pausenraum zur Verfügung, sei aber coronabedingt nicht mit Stühlen oder Tischen versehen. Bis 11 Uhr biete außerdem ein Beschäftigter des Kantinenvereins Brötchen und Getränke an.

Das Sozialgericht Fulda wies die Klage mit Verweis auf den Grundsatz des Versicherungsendes ab der Tür und den mangelnden Zusammenhang zwischen dem rein privaten Kaffeeholen zu der versicherten Tätigkeit zunächst ab. Dagegen legte die Klägerin Berufung ein.

Die Entscheidung

Das Hessische LSG gab der Klägerin recht. Anders als die Vorinstanz bestätigt das LSG den inneren Zusammenhang zwischen dem Zurücklegen des Weges zum Holen eines Kaffees im Betriebsgebäude und der versicherten Tätigkeit. Der innere bzw. sachliche Zusammenhang der zum Unfall führenden Verrichtung zur Tätigkeit ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Bei der Prüfung des inneren bzw. sachlichen Zusammenhangs im Kontext mit der Nahrungsaufnahme ist insbesondere zwischen Unfällen, die sich auf dem Weg zur Nahrungsaufnahme, und solchen, die sich bei der Nahrungsaufnahme ereignen, zu unterscheiden.

Auf die Nahrungsaufnahme selbst, wenn und soweit mit dieser ein menschliches Grundbedürfnis befriedigt wird, erstreckt sich nach dem BSG der allgemeine Schutzzweck des § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII nicht. Die Nahrungsaufnahme ist vielmehr dem privaten, unversicherten Lebensbereich zuzurechnen.

Das Zurücklegen eines Weges durch einen Beschäftigten mit der Handlungstendenz, sich an einem vom Ort der Tätigkeit verschiedenen Ort Nahrungsmittel zu besorgen oder einzunehmen, ist aber grundsätzlich versichert. Das könne sogar unabhängig davon sein, ob der Weg auf dem Betriebsgelände zurückgelegt wird oder den Versicherten von diesem herunter durch den öffentlichen Verkehrsraum (etwa zu einer Gaststätte, der eigenen Wohnung oder zu einem Kiosk/Lebensmittelgeschäft) führt. Dies sei zum einen der Fall, da die beabsichtigte Nahrungsaufnahme während der Arbeitszeit im Gegensatz zur bloßen Vorbereitungshandlung vor der Arbeit der Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit und damit der Fortsetzung der betrieblichen Tätigkeit dient. Zum anderen handelt es sich um einen Weg, der in seinem Ausgangs- und Zielpunkt durch die Notwendigkeit geprägt ist, persönlich im Beschäftigungsbetrieb anwesend zu sein und dort betriebliche Tätigkeiten zu verrichten. Aufgrund des Zusammentreffens dieser beiden betriebsbezogenen Merkmale, des Handlungsziels und der Betriebsbedingtheit des Weges wird der wesentliche innere Zusammenhang zwischen dem Betrieb und einem zur Nahrungsaufnahme zurückgelegten Weg angenommen. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig, da die Revision zugelassen worden ist.

Das Fazit

Mit dieser Entscheidung stellt das LSG Hessen klar, dass der Versicherungsschutz der Arbeitnehmer weitaus umfassender ist als bis zur Tür der Kantine. Jedenfalls soweit die Handlungstendenz für das Zurücklegen des Weges im inneren bzw. sachlichen Zusammenhang mit der Verrichtung der Tätigkeit steht. So ist der Arbeitnehmer bei Unfällen auch über den Arbeitgeber versichert, wenn er zur Nahrungsbeschaffung den Betrieb verlässt. Dies gilt jedenfalls, wenn er dies aufgrund eines Auftrages des Arbeitgebers ausführt oder er Lebensmittel für den alsbaldigen Verzehr am Arbeitsplatz einkauft.

Das LSG detailliert damit die bisherige Rechtsprechung des BSG. Es bleibt dabei, dass der Versicherungsschutz auf dem Hinweg und auf dem Rückweg jeweils an der Außentür des Gebäudes (der Kantine bzw. der Gaststätte oder des Lebensmittelgeschäfts oder des Einkaufszentrums) endet bzw. wiederbeginnt. Dies gilt aber regelmäßig dann nicht, wenn sich die Kantine oder der Ort zur Beschaffung von Lebensmitteln innerhalb des Betriebsgebäudes oder auf dem Betriebsgelände befindet. Auch in der bisherigen Rechtsprechung ist darüber hinaus anerkannt, dass der Grundsatz der Außentür des Gebäudes als Begrenzung des Versicherungsschutzes nicht auf alle Fallkonstellationen Anwendung finden kann.

Für die Arbeitgeber bedeutet dies einen erweiterten Haftungsrahmen, der sich in der Praxis durch eine erhöhte Anzahl an Versicherungsfällen widerspiegeln könnte. Arbeitgeber sind verpflichtet den jeweiligen Einzelfall genau zu untersuchen und festzustellen, welche Handlungstendenz dem Unfall vorgeschaltet war.