Neues zum Gemeinschaftsbetrieb und zur Arbeitnehmerüberlassung

Das BAG hat mit Urteil vom 24. Mai 2022 (Az. 9 AZR 337/21) klargestellt, dass die Beschäftigung eines Arbeitnehmers in einem Gemeinschaftsbetrieb zweier Unternehmen eine Arbeitnehmerüberlassung i. S. d. § 1 Abs. 1 AÜG ausschließt und – quasi nebenbei – dass die Übergangsvorschrift des § 19 Abs. 2 AÜG zwar europarechtswidrig, aber dennoch anzuwenden ist.

Der Fall

Der Kläger und die Beklagte zu 1) stritten um die Frage, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis begründet wurde. Die Beklagte zu 1) und die Beklagte zu 2) bildeten einen gemeinsamen Betrieb. Der Kläger war bei der Beklagten zu 2) als Leiharbeitnehmer angestellt und übte Tätigkeiten für die Beklagte zu 1) aus. Der Kläger war der Ansicht, dass die Beklagte zu 2) ihn als Arbeitnehmer zu der Beklagten zu 1) auf Dauer überlassen habe, sodass ein neues Arbeitsverhältnis begründet worden sei.

Die Beklagte zu 1) hat dagegen die Abweisung der Klage mit der Begründung beantragt, der Einsatz des Klägers in dem gemeinschaftlichen Betrieb schließe die Anwendung der Vorschriften des AÜG aus.

Die Entscheidung

Das BAG folgte der Ansicht der Beklagten und stellte fest, dass eine Arbeitnehmerüberlassung in einem Gemeinschaftsbetrieb nicht möglich sei, sondern dass sich diese beiden Gestaltungsformen des unternehmensübergreifenden Personaleinsatzes ausschließen. Eine Überlassung zur Arbeitsleistung i. S. d. § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG liegt gerade nicht vor, wenn der Arbeitnehmer in einem Gemeinschaftsbetrieb beschäftigt wird, zu dessen gemeinsamer Führung sich sein Arbeitgeber und ein Dritter rechtlich verbunden haben. Begrifflich spricht man von einem Gemeinschaftsbetrieb, wenn zwei Unternehmen gemeinsam ihr jeweiliges Personal in einem einheitlichen Betrieb einsetzen. Dieses Personal untersteht einer einheitlichen Personalführung und setzt die im Betrieb vorhandenen Arbeitsmittel gemeinschaftlich ein. Verfolgen mehrere Unternehmen als Gemeinschaftsbetrieb arbeitsteilig in einer gemeinsamen Betriebsstätte bestimmte arbeitstechnische Zwecke, ohne dass die Beteiligten in ihrer Verbundenheit am Rechtsverkehr teilnehmen, könne es schon begrifflich nicht zur Arbeitnehmerüberlassung kommen. Dies ist allein deshalb bereits denklogisch, da der Betrieb, in dem der Vertragsarbeitgeber seine Arbeitnehmer eingliedert/beschäftigt, eben auch „sein“ Betrieb ist. Es ist kein fremder Betrieb, in den der Vertragsarbeitgeber seine Arbeitnehmer überlässt. Vielmehr „steuert“ der Vertragsarbeitgeber – aufgrund der gemeinsamen Führungsvereinbarung – weiterhin seine Arbeitnehmer. In dieser Konstellation begründen auch ein möglicherweise fachliches Weisungsrecht des Dritten und die Zusammenarbeit der beiden Mitarbeitergruppen keine Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des AÜG. Denn die Unternehmen haben sich „sowieso“ zu einer gemeinsamen Führung rechtlich verbunden, so dass der Kern der Funktionen des Arbeitgebers (also auch das fachliche Weisungsrecht) weiterhin von derselben institutionellen Leitung ausgeübt wird. Im Übrigen handelt es sich bei einem Gemeinschaftsbetrieb regelmäßig um eine bloße Innengesellschaft zwischen den beiden Unternehmen, die als solche nicht Arbeitgeber und damit Entleiher sein könne.

Zudem hat das BAG in derselben Entscheidung zur Übergangsregelung nach § 19 Abs. 2 AÜG festgestellt, dass nur Einsatzzeiten als Zeitarbeitnehmer (bei einem Entleiher) ab dem 1. April 2017 im Rahmen der Überlassungshöchstdauer gem. § 1 Abs. 1b AÜG berücksichtigt werden. Der EuGH (Urteil v. 17. März 2022 – C-232/20) hatte dies als problematisch angesehen, da dadurch die Beurteilung des „vorübergehenden“ Charakters der Zeitarbeit ab dem Inkrafttreten der Richtlinie im Jahr 2011 gefährdet werden und die wörtliche Auslegung von § 19 Abs. 2 AÜG den Regelungszweck der Zeitarbeitsrichtlinie vereiteln könne. Das BAG stellte nunmehr ohne weitere Begründung fest, dass § 19 Abs. 2 AÜG unionsrechtswidrig sei; die Überlassungszeiten vor dem 1. April 2017 aber dennoch nicht auf die Überlassungszeiten danach anzurechnen seien.

Das Fazit

Die Feststellung des BAG, dass eine Arbeitnehmerüberlassung in einem Gemeinschaftsbetrieb nicht möglich sei, sondern dass sich diese beiden „Gestaltungsformen“ des unternehmensübergreifenden Personaleinsatzes ausschließen, bestätigt die bisherige Rechtsprechung. Für die Praxis bedeutet dies, dass der Gemeinschaftsbetrieb weiterhin ein mögliches Gestaltungsmittel für die Kooperation mehrerer Unternehmen im Rahmen des (wechselseitigen) Personaleinsatzes darstellen kann, insbesondere um Arbeitnehmer längerfristig einsetzen zu können und dabei aber eine Arbeitnehmerüberlassung und die Anwendung der damit zusammenhängenden strengen Bestimmungen des AÜG zu vermeiden.

Kommt es zu einem Streit, ob tatsächlich die Voraussetzungen des Gemeinschaftsbetriebs vorliegen, müssen diese aber – so das BAG – auch ermittelt werden. Dafür erforderlich ist nach ständiger Rechtsprechung (vgl. BAG, Urteil v. 20. Mai 2021 – 2 AZR 560/20), dass die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel mehrerer Unternehmen zu arbeitstechnischen Zwecken zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat betriebsbezogen gesteuert wird. Notwendig ist, dass sich die beteiligten Unternehmen (ggf. stillschweigend) zu einer gemeinsamen Führung rechtlich verbunden haben, so dass die wesentlichen Arbeitgeberfunktionen von derselben institutionellen Leitung ausgeübt werden.

Hierfür hat die Rechtsprechung verschiedene Kriterien aufgestellt. Wichtig ist dabei,

  • ein einheitliches Leitungsgremium zu installieren und dies entsprechend niederzulegen,
  • eine Betriebsführungsvereinbarung abzuschließen
  • den im Gemeinschaftsbetrieb verfolgten Betriebszweck zu dokumentieren und die Entscheidungsfindung des Leitungsgremiums in betriebsverfassungsrechtlichen Angelegenheiten zu dokumentieren sowie
  • Zeichnungsbefugnisse der maßgeblichen Personen, u.a. in betriebsverfassungsrechtlichen Angelegenheiten, festzulegen.

Zu beachten ist nach der Entscheidung des BAG nunmehr auch, ob mehrere Betriebsräte in dem Gemeinschaftsbetrieb existieren, die jeweils für die Arbeitnehmer nur eines Arbeitgebers zuständig sind. Denn dies könne einen wesentlichen Hinweis darauf geben, dass die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer lediglich in formaler Hinsicht einer einheitlichen Leitung, tatsächlich aber einer nach Vertragsarbeitgebern getrennten Personalführung unterliegen.

Dies alles führt zwar zu mehr Dokumentationsaufwand, kann den Unternehmen sodann aber eine größere Freiheit bei der Gestaltung und Durchführung der gemeinschaftlichen Zusammenarbeit ermöglichen.

Die Feststellung, dass vor dem 1. April 2017 liegende Überlassungszeiten trotz der Unionsrechtswidrigkeit von § 19 Abs. 2 AÜG nicht einzuberechnen sind, schafft im Übrigen Rechtssicherheit.

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Stephan Hinseln

Stephan Hinseln

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