Nachwirkung einer Regelungsabrede

Eine Regelungsabrede der Betriebsparteien wirkt nach einer Kündigung nicht entsprechend § 77 Abs.6 BetrVG nach. Dies gilt auch, soweit die Regelungsabrede eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit betrifft (BAG, Beschl. v. 13.08.2019 – 1 ABR 10/18).

Hintergrund

Die Betriebsparteien streiten über die verweigerte Zustimmung des Betriebsrats zu einer Eingruppierung. Die Arbeitgeberin vereinbarte im Jahr 2008 mit der Gewerkschaft im Rahmen eines Firmentarifvertrags einen Tarifwechsel. Gleichzeitig wurde ein Überleitungstarifvertrag geschlossen, in dem die zum Zeitpunkt des Tarifwechsels tätigen Beschäftigten namentlich benannt und den neuen Entgeltgruppen zugeordnet waren. Mit Schreiben vom 21. 01.2009 bot die Arbeitgeberin dem Betriebsrat an, auch die neu einzustellenden Beschäftigten nach den Kriterien des Überleitungstarifvertrags einzugruppieren, allerdings mit einer späteren Gewährung der sog. „Zwischenstufe“. Dem stimmte der Betriebsrat schriftlich zu. Im August 2015 kündigte die Arbeitgeberin die Vereinbarung mit dem Betriebsrat zum 30.11.2015. Bei einer nach Ablauf dieser Kündigungsfrist vorgenommenen Einstellung und Eingruppierung verweigerte der Betriebsrat bzgl. der Eingruppierung die Zustimmung und begründete dies gem. § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG mit der Verletzung der Regelungsabrede, da die Arbeitgeberin keine Zwischenstufe mehr gewähre. Im Rahmen des Zustimmungsersetzungsverfahrens beantragte der Betriebsrat im Rahmen des Wiederantrags die Feststellung, dass die gekündigte Vereinbarung zur Eingruppierung über den Zeitpunkt des Ablaufs des § 77 Abs. VI BetrVG nachwirke. Das BAG hat die Zustimmung des Betriebsrats ersetzt und den Feststellungsantrag des Betriebsrats zurückgewiesen.

Die Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass die von der Arbeitgeberin gekündigte Regelungsabrede der Beteiligten nicht nachwirke. § 77 Abs. 6 BetrVG sehe die Nachwirkung nur für Regelungen einer erzwingbaren Betriebsvereinbarung vor. Eine entsprechende Anwendung dieser Bestimmung auf Regelungsabreden der Betriebsparteien scheide hingegen aus. Insoweit seien die Voraussetzungen einer Rechtsfortbildung durch Analogie nicht gegeben. Dies wird durch das Bundesarbeitsgericht mit der unmittelbaren Geltung einer Betriebsvereinbarung begründet, die sich aus § 77 Abs. 6 BetrVG ausdrücklich ergibt. Diese unmittelbare Wirkung einer Betriebsvereinbarung führe dazu, dass deren Regelungen unmittelbar auf die Arbeitsverhältnisse der Beschäftigten einwirken. Die gesetzlich vorgesehene Nachwirkung ziele jedoch auf diese unmittelbare Wirkung ab und wolle diese absichern. Da eine Regelungsabrede hingegen gerade nicht unmittelbar gelte, sondern eine rechtliche Wirkung zugunsten der Beschäftigten erst durch eine weitere Umsetzung seitens der Arbeitgeberin – in Form einer einzelvertraglichen Umsetzung oder im Rahmen des Weisungsrechts – herbeigeführt werde, könne die gesetzliche Regelung zur Nachwirkung nicht auf diese übertragen werden. Darüber hinaus sei eine analoge Anwendung von § 77 Abs. 6 BetrVG auf gekündigte Regelungsabreden weder zur Wahrung des Gleichheitssatzes noch zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen erforderlich. Die nach Beendigung der Vereinbarung eintretende rechtliche Situation sei mit Blick auf die unmittelbare Wirkung einer Betriebsvereinbarung vollständig anders, weshalb eine Vergleichbarkeit und damit eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes nicht gegeben seien.

Zudem weist das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung ausdrücklich darauf hin, dass es an seiner bisherigen Rechtsprechung, wonach bei Regelungsabreden, die in einer mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit getroffen wurden, eine analoge Anwendung von § 77 Abs. 6 BetrVG gerechtfertigt sei, nicht mehr festhalte.

Fazit

Mit seiner Entscheidung ändert der 1. Senat ausdrücklich seine bisherige Rechtsauffassung bzgl. der Nachwirkung von Regelungsabreden. Dies betont er deshalb, weil die streitentscheidende Regelungsabrede unter Berücksichtigung der Tarifbindung des Arbeitgebers keine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit betraf. Nach dieser ausdrücklichen Rechtsprechungsänderung scheidet nunmehr eine Nachwirkung auf der Grundlage des § 77 Abs. 6 BetrVG für jede Regelungsabrede aus. Mithin kann eine Nachwirkung im Zusammenhang mit einer Regelungsabrede nur noch im Wege einer ausdrücklichen Vereinbarung zwischen den Betriebsparteien sichergestellt werden.

Autor: Rechtsanwalt Kai Müncheberg
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