LAG Berlin-Brandenburg meldet Zweifel an der rigiden BAG-Rechtsprechung zur Abgeltung von Überstunden an.

Das LAG Berlin-Brandenburg nahm die Überstundenklage eines Arbeitnehmers zum Anlass, die Voraussetzungen des BAG an die Abgeltungspflicht geleisteter Überstunden kritisch zu würdigen (LAG Berlin-Brandenburg v. 28.06.2017 – 15 Sa 66/17)

Die Rechtsprechung des BAG:

Nach der Rechtsprechung des BAG reicht es bei einer Überstundenklage des Arbeitnehmers auf der ersten Stufe aus, wenn dieser für jeden Tag im Einzelnen darlegt, von wann bis wann er gearbeitet oder sich auf Anweisung zur Arbeit bereitgehalten hat (BAG v. 16.05.2012 – 5 AZR 307 40/11). Weiterhin muss ein Arbeitnehmer im Rahmen eines zweiten Prüfungsschritts vortragen, inwiefern der Arbeitgeber die Leistung von Überstunden veranlasst hat oder diese ihm zumindest zuzurechnen sind. Üblicherweise wird hier verlangt, dass die geleisteten Überstunden angeordnet, gebilligt, geduldet oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit erforderlich waren. Eine Duldung von Überstunden wird jedenfalls dann angenommen, wenn der Arbeitgeber in Kenntnis einer Überstundenleistung diese hinnimmt und keine Vorkehrungen trifft, die Leistung von Überstunden künftig zu unterbinden, er also nicht gegen die Leistung von Überstunden einschreitet, sie vielmehr weiterhin entgegennimmt (BAG 10.04.2013 – 5 AZR 122/12).
Diese Grundsätze gelten bei Führung eines Arbeitszeitkontos auch dann, wenn der Arbeitgeber keinerlei Zeitguthaben eingestellt hat (BAG 23.09.2015 – 5 AZR 707 60/13).

Die Entscheidung des LAG:

Da in Deutschland jährlich fast 1 Milliarde Überstunden weder bezahlt noch durch Freizeit abgegolten werden, was einem Anteil von über 50 % gemessen an allen Überstunden entspricht (Handelsblatt online, 07.03.2017; http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/arbeitsmarkt-deutsche-leisten-1-76-milliarden-ueberstunden/19483520.html), könne es durchaus zweifelhaft sein, ob der rigiden Rechtsprechung des BAG zur Bezahlung von Überstunden zu folgen sei, so das LAG.

Es sei wenig nachvollziehbar, warum es nicht ausreichen soll, dass der Arbeitnehmer im ersten Prüfungsschritt die Leistung der Überstunden darlegt. Überwiegend würden Überstundenklagen deswegen abgewiesen, weil der Arbeitnehmer bezogen auf den zweiten Prüfungsschritt insbesondere die Duldung von Überstunden nicht darlegen könne. Das BAG begründe die Notwendigkeit für diesen weiteren Prüfungspunkt damit, dass die geleisteten Überstunden dem Arbeitgeber zuzurechnen sein müssten. Dieser müsse sich Überstunden nicht aufdrängen lassen (BAG 10.04.2013 – 5 AZR 123/12). Dies überzeuge jedoch nicht, da der Arbeitgeber „Herr im eigenen Betrieb“ sei. Sehe man von Alternativbetrieben ab, in denen eventuell jeder mache, was er wolle, könne ein Arbeitgeber mit Hilfe seiner Betriebshierarchie „aufgedrängte“ Überstunden schon einfach dadurch vermeiden, dass nach Ableistung der regulären Arbeitszeit die Arbeitnehmer nach Hause geschickt würden. Setze ein Arbeitgeber seine Betriebsorganisation hierfür nicht ein, dann gebe er damit zu erkennen, dass ihm die Leistung weiterer Stunden egal ist. Dann wäre es allein deswegen konsequent, die geleisteten Stunden dem Arbeitgeber auch zuzurechnen.

Zur Lösung des Falles kam es auf die angestellten Überlegungen nicht an, da der Arbeitgeber auch bei Anwendung der BAG-Kriterien zur Bezahlung von Überstunden verpflichtet war. Ob das BAG die Zweifel des LAG zum Anlass nehmen wird, seine Rechtsprechung zu überdenken, bleibt abzuwarten.

Rechtsanwalt Tomislav Santon
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