Kurzfristige Arbeitsfähigkeit oder einheitlicher Verhinderungsfall? Darlegungs- und Beweislast beim Arbeitnehmer

Das Landesarbeitsgericht Köln hat in konsequenter Anwendung der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG, Az. 5 AZR 318/15) entschieden, dass - sofern bei wiederholter Arbeitsunfähigkeit ein erneuter Entgeltfortzahlungsanspruch geltend gemacht wird - den Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für Beginn und Ende der Arbeitsunfähigkeit und eine zwischenzeitliche Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit trifft (LAG Köln, 15.11.2016, Az. 12 Sa 453/16).

Der Fall:

Die Parteien stritten über einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall aus ihrem beendeten Arbeitsverhältnis. Der Kläger litt in der letzten Zeit unter diversen gesundheitlichen Problemen. Die Parteien hatten bereits in einem vorherigen Rechtsstreit einen Prozessvergleich geschlossen, mit welchem sie die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.11.2015 vereinbarten. Nach Abschluss dieses Vergleichs erbrachte der Kläger bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses lediglich an vier Tagen seine Arbeitsleistung für die Beklagte. Im Übrigen nahm der Kläger Urlaub in Anspruch und war die restliche Zeit arbeitsunfähig erkrankt. Zwischenzeitlich, konkret am 24.04.2015, erstellten die Ärzte des Medizinischen Dienstes ein Gutachten mit dem Ergebnis, dass der Kläger „ohne Zweifel auf unabsehbare Zeit arbeitsunfähig“ sei.

Unter dem 29.05.2015 erteilte der behandelnde Hausarzt des Klägers, welcher im späteren Verlauf als Zeuge vernommen werden sollte, dem Kläger eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als Erstbescheinigung. Im Anschluss erteilte der Hausarzt des Klägers zwei weitere Folgebescheinigungen, zuletzt einschließlich bis Freitag, den 03.07.2015. Für das darauffolgende Wochenende (Samstag, 04.07.2015, und Sonntag, 05.07.2015) lag keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Klägers vor. Am darauffolgenden Montag, den 06.07.2015, stellte der Hausarzt des Klägers eine erneute Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als Erstbescheinigung aus, zunächst bis voraussichtlich einschließlich 17.07.2015, später verlängert bis einschließlich 31.07.2015. Eine vorherige Mitteilung des Klägers gegenüber der Beklagten dahin gehend, dass er ab Montag, den 06.07.2015, voraussichtlich wieder arbeitsfähig sein werde, ist nicht erfolgt. Die Beklagte zahlte ab dem 06.07.2015 kein Entgelt mehr an den Kläger. Nach der erfolglosen vorprozessualen Geltendmachung des Arbeitsentgeltes ab dem 06.07.2015 seitens des Klägers erhob dieser Zahlungsklage vor dem Arbeitsgericht Siegburg.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, es sei ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch ab dem 06.07.2015 entstanden, und behauptete hierzu, dass er am 04. und 05.07.2015 arbeitsfähig gewesen und alsdann ab Montag, den 06.07.2015, an einer anderen Erkrankung arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei, die nicht in einem Zusammenhang mit der vorherigen Erkrankung gestanden habe. Die Beklagte vertrat die Auffassung, es läge eine Fortsetzungserkrankung vor. Der Kläger habe zu keinem Zeitpunkt seine Arbeitsfähigkeit wiedererlangt, insbesondere nicht am Wochenende nach dem 03.07.2015.

Das Arbeitsgericht Siegburg hat durch Vernehmung des Hausarztes des Klägers Beweis erhoben über die Behauptung der Beklagten, der Kläger sei über den 03.07.2015 hinaus durchgehend bis zum 31.07.2015 arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Der Hausarzt des Klägers bekundete, dass er keine Feststellungen dazu getroffen habe, ob der Kläger am 04. und 05.07.2015 arbeitsfähig gewesen sei. Er könne lediglich vermuten, dass die am 06.07.2016 diagnostizierte Krankheit bereits vorher aufgetreten sein könnte; bezüglich der konkreten Beweisfrage war die Aussage unergiebig, die Beweisfrage konnte nicht aufgeklärt werden.

Das Arbeitsgericht Siegburg hat der Klage nach der v.g. Beweisaufnahme stattgegeben und seine Entscheidung damit begründet, dass die vom Hausarzt des Klägers geäußerte Vermutung nicht ausreiche und die fehlende Aufklärung der Tatsache, ob der Kläger dauerhaft arbeitsunfähig war, zu Lasten der beklagten Arbeitgeberin gehe.

Die Entscheidung:

Die gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg gerichtete Berufung der Beklagten hatte Erfolg. Die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln änderte das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg ab und wies die Klage ab. Das LAG Köln erhob im Kammertermin erneut Beweis durch die Vernehmung des Hausarztes des Klägers, nunmehr allerdings über die Behauptung des Klägers (nicht die der Beklagten), er sei am Wochenende des 04. und 05.07.2015 arbeitsfähig gewesen (und nicht über eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit).

Zur Begründung verwies das Landesarbeitsgericht darauf, dass der Anspruch des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG auf sechs Wochen beschränkt ist. Dieser Zeitraum war vorliegend ab dem 06.07.2015 abgelaufen. Nach dem vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls ist der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall auch dann auf die Dauer von sechs Wochen seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit beschränkt, wenn während der bestehenden Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Insofern entsteht ein erneuter Entgeltfortzahlungsanspruch nur dann, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits in dem Zeitpunkt beendet war, in dem die weitere Erkrankung zur erneuten Arbeitsverhinderung führt. Dies ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer zwischen zwei Krankheiten tatsächlich gearbeitet hat oder jedenfalls arbeitsfähig war, sei es auch nur für wenige außerhalb der Arbeitszeit liegende Stunden.

Die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG trägt – nach allgemeinen Grundsätzen – der Arbeitnehmer. Ebenso wie er für die Tatsache der Arbeitsunfähigkeit als solcher beweispflichtig ist, trifft ihn auch für deren Beginn und Ende die objektive Beweislast. Für Darlegungen und den Nachweis von Beginn und Ende der auf einer bestimmten Krankheit beruhenden Arbeitsunfähigkeit kann sich der Arbeitnehmer zunächst auf die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung stützen. Ist es jedoch unstreitig oder bringt der Arbeitgeber gewichtige Indizien dafür vor, dass die erneute Arbeitsunfähigkeit auf einer Krankheit beruht, die bereits vor dem attestierten Beginn der Arbeitsunfähigkeit bestanden und zu einer Krankheit, wegen derer der Arbeitnehmer bereits durchgehend sechs Wochen arbeitsunfähig war, hinzugetreten ist, muss der Arbeitnehmer als Voraussetzung des Entgeltfortzahlungsanspruchs den von ihm behaupteten Beginn der neuen krankheitsbedingten Arbeitsverhinderung beweisen. Dafür steht ihm das Zeugnis des behandelnden Arztes als Beweismittel zur Verfügung. Ergibt sich jedoch nach der Vernehmung des behandelnden Arztes eine non-liquet-Situation, geht diese aufgrund der Beweislastverteilung letztlich zu Lasten des Arbeitnehmers (und nicht zu Lasten des Arbeitgebers).

Gemessen an den vorgenannten Kriterien ist es dem Arbeitnehmer nicht gelungen zu beweisen, dass er am 04. und 05.07.2015 arbeitsfähig gewesen ist. Als gewichtige Indizien gegen die klägerische Behauptung und die ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, welche die Tage des 04. und 05.07.2015 nicht erfassten, sprachen die langen Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers im letzten Jahr des Beschäftigungsverhältnisses, die fehlende Information des Klägers, dass er am 06.07.2015 wieder arbeitsfähig sei, und das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse.

Fazit:

Die Entscheidung des Landgerichts Köln stellt eine konsequente Umsetzung der neuerlichen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dar, welche eindeutig festlegt, dass neben der Tatsache der Arbeitsunfähigkeit als solcher auch deren Beginn und Ende vom Arbeitnehmer darzulegen und zu beweisen sind. Die Entscheidung weist darüber hinaus eine hohe Praxisrelevanz sowie die Behandlung eines häufig unbekannten Themas für Arbeitgeber, die sog. Einheit des Verhinderungsfalls, auf.

Häufig erfolgen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bis zum Ende einer regulären Arbeitswoche, mithin bis zum Freitag. Endet der sechswöchige Entgeltfortzahlungszeitraum mit einem Freitag (oder am Wochenende) und meldet sich der Arbeitnehmer am darauffolgenden Montag mit einer weiteren, als Erstbescheinigung deklarierten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung krank, so wäre es für den Arbeitgeber häufig kaum zu beweisen, dass es sich hierbei tatsächlich um eine Folgeerkrankung handelt. Nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25.05.2016, Az. 5 AZR 318/15, und auch nach der hier besprochenen Entscheidung reichen „gewichtige Indizien“ aus, die den Beginn der Folgeerkrankung und somit den Beweiswert der (weiteren) Erstbescheinigung in Frage stellen, um dem Arbeitnehmer die Beweislast wieder „zuzuspielen“.

Ist der Beweiswert der nachfolgenden Erstbescheinigung bezüglich des Beginns der Arbeitsunfähigkeit erschüttert, obliegt es wiederum dem Arbeitnehmer darzulegen und zu beweisen, wann seine erneute Erkrankung aufgetreten ist und dass diese sich nicht mit der vorhergehenden Erkrankung überschnitt. Der behandelnde Arzt wird jedoch in der Regel kaum geeignete Tatsachen vortragen können, da die letzte Behandlung regelmäßig vor dem Ende der diagnostizierten Arbeitsunfähigkeit stattgefunden haben wird und eine spätere Untersuchung (z. B. am folgenden Montag) keine Diagnose rechtfertigen kann, dass der Arbeitnehmer am Wochenende arbeitsfähig gewesen sei. Richtigerweise hat das LAG Köln die Revision nicht zugelassen, da die streitgegenständlichen Rechtsfragen durch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25.05.2016, Az. 5 AZR 318/15, hinreichend höchstrichterlich geklärt sind.

Quellen:

LAG Köln, 15.11.2016, Az. 12 Sa 453/16; BAG, 25.05.2016, Az. 5 AZR 318/15