Kündigung eines katholischen Chefarztes wegen Wiederheirat

In einem aufsehenerregenden Urteil hat der EuGH entschieden, dass die nationalen Gerichte überprüfen dürfen und müssen, ob Anforderungen von kirchlichen Arbeitgebern, sich loyal und aufrichtig im Sinne ihres Ethos zu verhalten, wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt im Sinne des Art 4 Abs. 2 der RL 2000/78/EG sind.

Der Fall

Den Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Beklagte ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach deutschem Recht. Ihr Gesellschaftszweck ist die Verwirklichung von Aufgaben der Caritas (der internationalen Wohlfahrtsorganisation der katholischen Kirche) als Lebens- und Wesensäußerung der römisch-katholischen Kirche durch u.a. den Betrieb von Krankenhäusern. Der Kläger ist katholischer Konfession und als Chefarzt der Abteilung „Innere Medizin“ eines Krankenhauses bei der Beklagten beschäftigt. Er war nach katholischem Ritus verheiratet. Im Jahr 2005 trennte sich seine erste Ehefrau von ihm, und im März 2008 wurde die Ehe geschieden. Im August 2008 heiratete der Kläger seine neue Lebensgefährtin standesamtlich, ohne dass seine erste Ehe für nichtig erklärt worden war. Nachdem die Beklagte von der erneuten Heirat Kenntnis erlangt hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis gegenüber dem Kläger.

Das ArbG Düsseldorf gab der Kündigungsschutzklage statt. Das LAG Düsseldorf wies die Berufung und das BAG die hiergegen eingelegte Revision der Beklagten zurück. Diese Entscheidung wurde vom BVerfG aufgehoben und die Sache an das BAG zurückverwiesen. Das BAG legte dem EuGH zur Vorabentscheidung die Fragen vor, ob Art. 4 Abs. 2 der RL 2000/78/EG dahin auszulegen ist, dass eine Kirche oder eine andere Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht und die eine Klinik in Form einer privatrechtlichen Kapitalgesellschaft betreibt, verbindlich bestimmen kann, an ihre leitend tätigen Beschäftigten je nach deren Konfession oder Konfessionslosigkeit unterschiedliche Anforderungen hinsichtlich der Loyalität und Aufrichtigkeit zu stellen, und, falls nicht, anhand welcher Kriterien im Einzelfall zu prüfen ist, ob solche Anforderungen mit dieser Vorschrift vereinbar sind.

Die Entscheidung des EuGH

Der EuGH entschied, dass § 4 Abs. 2 der RL 2000/78/EG dahin auszulegen ist, dass

    1. zum einen eine Kirche oder eine andere Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht und die eine in Form einer privatrechtlichen Kapitalgesellschaft gegründete Klinik betreibt, nicht beschließen kann, an ihre leitend tätigen Beschäftigten je nach deren Konfession oder Konfessionslosigkeit unterschiedliche Anforderungen an das loyale und aufrichtige Verhalten im Sinne dieses Ethos zu stellen, ohne dass dieser Beschluss gegebenenfalls Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein kann, und
    2. zum anderen bei Anforderungen an das loyale und aufrichtige Verhalten im Sinne des genannten Ethos eine Ungleichbehandlung zwischen Beschäftigten in leitender Stellung je nach deren Konfession oder Konfessionslosigkeit nur dann mit der Richtlinie im Einklang steht, wenn die Religion oder die Weltanschauung im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine berufliche Anforderung ist, die angesichts des Ethos der in Rede stehenden Kirche oder Organisation wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt ist und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, was das nationale Gericht zu prüfen hat.

Konsequenzen

Das Urteil weicht das verfassungsrechtlich gewährleistete Selbstbestimmungsrecht der Kirchen vor dem Hintergrund des europäischen Diskriminierungsschutzes auf. Gerichten ist es künftig untersagt, konfessionelle Anforderungen in kirchlichen Arbeitsverhältnissen bei Diskriminierungsfragen nur eingeschränkt zu überprüfen. Die Anforderungen kirchlicher Arbeitgeber an Konfession und Verhalten ihrer Beschäftigten sind damit einer Rechtskontrolle durch die nationalen Gerichte unterworfen. Dabei ist maßgeblich auf die jeweilige Art der beruflichen Tätigkeit des Beschäftigten abzustellen. Anforderungen an Konfession und Verhalten von Beschäftigten sind umso eher gerechtfertigt, je mehr der ausgeübte Beruf den Kernbereich der Religionsgemeinschaft, d.h. ihren Verkündigungsauftrag betrifft.

Quelle: EuGH v. 11.09.2018 – C-68/17