Keine automatische Überstundenabgeltung durch unwiderrufliche Freistellung

Das Bundesarbeitsgericht beschäftigte sich in einer aktuellen Entscheidung (Urteil vom 20.11.2019, 5 AZR 578/18) mit der Frage, ob Überstunden durch die Vereinbarung einer unwiderruflichen Freistellung eines Arbeitnehmers in einem gerichtlichen Vergleich automatisch abgegolten sind.

Der Fall

Die Klägerin war bei der Beklagten als Sekretärin beschäftigt und erhielt eine fristlose Kündigung. Im darauffolgenden Kündigungsschutzprozess schlossen die Parteien im November 2016 einen Vergleich über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter Einhaltung der maßgeblichen ordentlichen Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Monatsende. Bis zum Ablauf dieser Frist vereinbarten die Parteien eine unwiderrufliche Freistellung der Klägerin von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung unter Fortzahlung der Vergütung und Anrechnung bestehender Urlaubsansprüche. Der Vergleich enthielt keine allgemeine Abgeltungs- und Ausgleichsklausel.

Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses machte die Klägerin sodann gerichtlich die Abgeltung von insgesamt 67,10 Überstunden geltend. Während das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben hatte, wies das Landesarbeitsgericht die Klage auf die Berufung hin ab. Der fünfte Senat ließ die Revision der Klägerin zu und stellte das erstinstanzliche Urteil des Arbeitsgerichts wieder her.

Hintergrund

Im laufenden Arbeitsverhältnis können Überstunden grundsätzlich durch die Gewährung von Freizeitausgleich oder in Geld abgegolten werden. Den Freizeitausgleich kann der Arbeitgeber im Rahmen seines Direktionsrechts gem. § 106 Satz 1 GewO einseitig anordnen. Die herrschende Meinung geht davon aus, dass es sich bei Weisungen nach § 106 GewO um empfangsbedürftige Willenserklärungen handelt, die dem Arbeitnehmer zugehen müssen; er muss also Kenntnis von der Weisung des Arbeitgebers erlangen. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses hingegen, wenn der Überstundenabbau durch Freizeitausgleich nicht mehr möglich ist, kommt grundsätzlich nur die Abgeltung der Überstunden in Geld in Betracht.

Die Entscheidung

Weil in dem verhandelten Fall ein positiver Überstundensaldo bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorlag und demnach ein Ausgleich durch Freizeitgewährung nicht mehr möglich war, hatte der fünfte Senat die Frage zu beantworten, ob die Überstunden durch die Vereinbarung der unwiderruflichen Freistellung der Klägerin abgegolten waren und lehnte dies im Ergebnis ab.

Der Anspruch des Arbeitnehmers auf einen Überstundenabbau durch Freizeitausgleich sei nur dann durch die Freistellung erfüllt, wenn dies in dem Vergleich ausdrücklich geregelt ist. Dafür sei erforderlich, dass in dem Vergleich hinreichend zum Ausdruck kommt, dass durch die Freistellung die Abgeltung des Arbeitnehmeranspruchs auf Freizeitausgleich beabsichtigt ist. Eine Klausel, die schlichtweg die unwiderrufliche Freistellung von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung regelt, sei dafür nicht ausreichend, weil für den Arbeitnehmer die Abgeltung des Anspruchs auf Freizeitausgleich nicht erkennbar ist. Entspricht die maßgebliche Regelung in dem Vergleich nicht diesen Anforderungen, erfolgt keine Tilgung von Überstunden durch die Freistellung.

Praxishinweis

Die Entscheidung ist in der Praxis nicht nur für den Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs relevant, sondern auch für andere Freistellungserklärungen, z. B. in Aufhebungsverträgen oder Kündigungen. Der Arbeitgeber hat hier Vorsicht walten zu lassen, weil nach Beginn der unwiderruflichen Freistellung eine Weisung zum Abbau von Überstunden durch Freizeitausgleich gem. § 106 Satz 1 GewO nicht mehr wirksam ausgesprochen werden kann. Denn ist der Arbeitnehmer aufgrund der unwiderruflichen Freistellung nicht länger zur Erbringung der Arbeitsleistung verpflichtet, kann denklogisch auch nicht die Verteilung der Arbeitszeit einseitig durch den Arbeitgeber bestimmt werden.

Dieser Fall zeigt zudem, dass die Aufnahme einer allgemeinen Abgeltungs- und Ausgleichsklausel bei einem Vertrag über die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses stets sinnvoll ist. Wäre diese vorhanden gewesen, wäre eine Abgeltung der Überstunden nicht durchsetzbar gewesen.