Jetzt doch Arbeitnehmereigenschaft beim Crowdworking?

Das BAG hat entschieden, dass sog. Crowdworkern die Arbeitnehmereigenschaft zugesprochen werden kann (BAG 01.12.2020 – 9 AZR 102/20).

HINTERGRUND

Wir berichteten bereits über die Entscheidungen des LAG Hessen (14.02.2019 – 10 Ta 350/18) und des LAG München (04.12.2019 – 8 Sa 146/19), die sich im vergangenen Jahr mit der Frage beschäftigten, ob beim Crowdworking ein Arbeitsverhältnis begründet wird. Unter Crowdworking versteht man das Vergeben bzw. Auslagern bestimmter Arbeiten durch einen Unternehmer an eine regelmäßig unbestimmte Anzahl von Personen über Internetplattformen.

Beide Gerichte sprachen sich im Ergebnis gegen die Arbeitnehmereigenschaft von Crowdworkern aus.

Gegen das Urteil des LAG München hat der Kläger Revision eingelegt, über die das BAG nun zu entscheiden hatte.

DIE ENTSCHEIDUNG

Der Kläger hatte für die Beklagte, die im Auftrag ihrer Kunden die Präsentation von Markenprodukten im Einzelhandel und an Tankstellen kontrolliert, in einem Zeitraum von elf Monaten insgesamt fast 3000 Aufträge ausgeführt. Der Inhalt der Aufträge bestand vor allem im Fotografieren der Warenpräsentation und Beantworten von Fragen zur Werbung von Produkten. Die Aufträge wurden durch die Beklagte über eine Internetplattform angeboten, und es oblag dem Kläger, ob er sie annehmen wollte oder nicht. Im Fall der Annahme waren die Aufträge regelmäßig innerhalb von zwei Stunden nach den Vorgaben der Beklagten zu erledigen. Mit steigender Anzahl an erledigten Aufträgen wurde durch das System der Plattform das Level erhöht und die parallele Annahme von mehreren Aufgaben gestattet. Grundlage der Zusammenarbeit bildete eine Basisvereinbarung, die keine Angaben zu einem bestimmten Auftragsvolumen enthielt.

Sowohl das ArbG München als auch das LAG München verneinten die Arbeitnehmereigenschaft des Klägers. Die Revision vor dem BAG hatte nunmehr jedoch teilweise Erfolg.

Anders als die Vorinstanzen bejahte das BAG im vorliegenden Fall die Arbeitnehmereigenschaft des Klägers. Demnach habe er weisungsgebundene und fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit geleistet. Auf die konkrete Bezeichnung des Vertrages komme es insofern nicht an. Es spreche für das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses, wenn der Auftraggeber die Zusammenarbeit über die von ihm betriebene Onlineplattform so steuert, dass der Auftragnehmer infolge dessen seine Tätigkeit nach Ort, Zeit und Inhalt nicht frei gestalten kann.

Obwohl der Kläger nicht zur Annahme von Aufträgen der Beklagten verpflichtet war, sei deren Organisationsstruktur jedoch darauf ausgerichtet gewesen, dass die einzelnen Crowdworker kontinuierlich Aufträge im Bezirk ihrer gewöhnlichen Aufenthaltsorte annehmen und abarbeiten.

FAZIT

Die nach § 611a Abs. 1 Satz 5 BGB veranlagte Gesamtwürdigung aller Umstände kann somit im Einzelfall ergeben, dass Crowdworker als Arbeitnehmer einzustufen sind, was unter anderem mit erheblichen sozialversicherungsrechtlichen Konsequenzen einhergeht.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass jede Art der Vermittlung von Arbeit im Ergebnis ein Arbeitsverhältnis begründet und Crowdworker zwingend den Status eines Arbeitnehmers haben müssen. Die Frage der Abgrenzung zwischen der Eigenschaft als Arbeitnehmer und Solo-Selbstständiger muss stets im konkreten Einzelfall entschieden werden.

Die Entscheidung zeigt, dass die von der Rechtsprechung entwickelte und nunmehr auch in § 611a BGB verankerte Definition des Arbeitnehmers auch moderne Formen der Beschäftigung erfassen kann und es trotz fortschreitender Digitalisierung und Internationalisierung des Arbeitsrechts keiner neuen Bestimmung der vorhandenen allgemeinen Begrifflichkeiten bedarf.

Internetplattformen, die im Rahmen des Geschäftskonzepts „Crowdworking“ Aufträge vermitteln und keinerlei weitergehende Verpflichtung gegenüber dem einzelnen Crowdworker eingehen wollen, sollten vor dem Hintergrund der aktuellen Entscheidung ihre Verträge einer Prüfung bzw. Anpassung unterziehen.