Gesundheitsrecht/Health-Care – Krankenhausrecht

Verpflichtung des Krankenhauses zu umfassender und einheitlicher Gesamtleistung – fortgeführte ambulante Strahlentherapie als veranlasste und abrechenbare Leistung des Krankenhauses (Landessozialgericht (LSG) Hamburg vom 23.06.2022 – L 1 KR 60/21)

SACHVERHALT

Im Streit war beim LSG Hamburg ein Anspruch auf Vergütung wegen vollstationärer Krankenhausbehandlung und dabei die Frage, ob eine während der stationären Behandlung fortgeführte ambulante Strahlentherapie als vom Krankenhaus veranlasste Leistung Dritter kodiert werden durfte.

Die dortige Klägerin betrieb ein Plankrankenhaus (§ 108 Nr. 2 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch <SGB V>). Im Krankenhausplan 2015 der Freien und Hansestadt H. wurden für dieses u. a. im Fachgebiet Innere Medizin Betten ausgewiesen (Soll zum 1. April 2015 243 von insgesamt 701), u. a. im Fachgebiet der Strahlenheilkunde hingegen keines (Anlage zum Feststellungsbescheid vom 27.01.2015). Das klagende Krankenhaus stellte der Krankenkasse auf der Grundlage der Fallpauschale (Diagnosis Related Group <DRG> 2015) E08C (Strahlentherapie bei Krankheiten und Störungen der Atmungsorgane, ohne operativen Eingriff oder Beatmung > 24 Stunden, mehr als ein Belegungstag, weniger als zehn Bestrahlungen, Kostengewicht 1,534) nebst Zuschlägen insgesamt 5.057,02 € in Rechnung. Die DRG E08C ergab sich u. a. deshalb, weil die Klägerin die Prozedur OPS (Operationen- und Prozedurenschlüssel 2015) 8-522.91 (Hochvoltstrahlentherapie, Linearbeschleuniger, intensitätsmodulierte Radiotherapie, mit bildgeschützter Einstellung) mehrfach in die Kodierung miteinbrachte. Die Krankenkasse vertrat gegenüber dem Krankenhaus die Ansicht, dass es sich bei den während der streitigen stationären Behandlung von der ambulanten Praxis gegenüber der Versicherten erbrachten Bestrahlungen nicht um allgemeine Krankenhausleistungen i. S. v. § 2 des Krankenhausentgeltes (KHEntgG) in Form von vom Krankenhaus veranlasster Leistungen Dritter gehandelt habe. Die Bestrahlungsplanung sei bereits vor Aufnahme der Versicherten erfolgt und die ersten Bestrahlungen seien in der Praxis als ambulante Leistungen durchgeführt worden. Somit sei die Fortführung der Bestrahlungen nicht vom klagenden Krankenhaus veranlasst worden. Dieses habe nur sichergestellt, dass die Versicherte die bereits feststehenden ambulanten Termine einhalten könne. Die Verantwortung für die Bestrahlungen habe somit nicht im Bereich der Klinik, sondern in den Händen der Praxis gelegen, die diese analog den Bestimmungen zur Fortführung von Dialysebehandlungen als ambulant erbrachte Leistungen neben der stationären Leistungsabrechnung abrechnen könne. Da das klagende Krankenhaus die Strahlentherapie mangels entsprechender Fachabteilung weder selbst durchgeführt noch veranlasst habe, könne sie diese bei der Kodierung nicht berücksichtigen.

DIE ENTSCHEIDUNG

Das Landessozialgericht Hamburg widerspricht der Argumentation der Krankenkasse und gibt dem klagenden Krankenhaus recht und führt aus, dass es sich bei den von der ambulanten Praxis während der stationären Behandlung der Versicherten im Krankenhaus der Klägerin durchgeführten strahlentherapeutischen Behandlungen der Versicherten um vom Krankenhaus veranlasste Leistungen Dritter i. S. d. § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 KHEntgG handele, sodass diese im Rahmen der Abrechnung des Krankenhauses gegenüber der Krankenkasse als Prozeduren mit dem OPS 8-522.91 zu kodieren waren, was in die DRG E08C führt.

Das Landessozialgericht Hamburg stellt dabei klar, dass das Krankenhaus, das einen Versicherten zur vollstationären Behandlung aufgenommen hat, zu einer umfassenden und einheitlichen Gesamtleistung verpflichtet ist und dabei auch zur Erbringung solcher Leistungen im Rahmen der allgemeinen Krankenhausleistungen, die es von vornherein nicht mit eigenen personellen und sachlichen Mitteln, sondern nur durch Dritte erbringen kann. Veranlasst mithin ein Krankenhaus, welches nicht über eine Abteilung für Strahlentherapie verfügt, während einer vollstationär durchgeführten Chemotherapie eine ambulante strahlentherapeutische Behandlung bei einem Arzt, welcher diese bereits vor Beginn der stationären Behandlung durchgeführt hat, dann handelt es sich um vom Krankenhaus veranlasste Leistungen Dritter i. S. d. § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 KHEntgG, sodass diese im Rahmen der Abrechnung des Krankenhauses gegenüber der Krankenkasse als Prozeduren mit dem OPS 2015 Nr 8-522.91 zu kodieren sind, welche gem. Anl 1 Teil a Nr E08C der DRG 2015 (juris: FPVBG 2015) zu vergüten sind.

DIE ARGUMENTATION DES GERICHTS (INTERPRETATION BSG 26.04.2022 – B 1 KR 15/21 R)

Krankenkassen versuchen, von den Krankenhäusern geltend gemachte Kostenansprüche mit der Argumentation abzuwehren, dass hier unzulässig Krankenhausleistungen auf Dritte verlagert worden seien. Als Ansatz für solche Argumentationen wird dabei von den Krankenkassen – auch im hiesigen Fall – die Entscheidung des Bundessozialgerichtes vom 26.04. 2022 (Az. B 1 KR 15/21 R) genommen. Das Landessozialgericht Hamburg widerspricht aber dieser Argumentation und führt aus, dass die Krankenkasse zu Unrecht eine Parallelität zu dem vom BSG am 26.04.2022 (Az. B 1 KR 15/21 R) entschiedenen Sachverhalt sehe. Das Krankenhaus der dortigen Klägerin war im Krankenhausplan u. a. ausdrücklich mit einer Abteilung für Strahlentherapie aufgenommen, löste die entsprechende Abteilung jedoch auf, gliederte die Leistungen aus und ließ diese von einer Gemeinschaftspraxis für Strahlentherapie erbringen, mit der sie einen Kooperationsvertrag für stationär behandelte Patienten schloss. Zwar habe das Bundessozialgericht die dort streitigen Strahlentherapieleistungen nicht als veranlasste Leistungen Dritter i. S. d. § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 KHEntgG angesehen, dies jedoch damit begründet, dass die Regelung es nicht erlaube, dass das Krankenhaus wesentliche der vom Versorgungsauftrag umfassten Leistungen „regelmäßig und planvoll“ auf Dritte auslagere, die nicht in seine Organisation eingegliedert seien. Das Krankenhaus habe für die im Versorgungsauftrag ausgewiesenen Bereiche die räumliche, apparative und personelle Ausstattung zur Erbringung der wesentlichen Leistungen selbst vorbehalten, wobei „wesentlich“ alle die Leistungen seien, die in der ausgewiesenen Fachabteilung regelmäßig notwendig seien – mit Ausnahme unterstützender und ergänzender Leistungen wie etwa Laboruntersuchungen oder radiologischer Untersuchungen. In dem vom Landessozialgericht Hamburg entschiedenen Fall habe aber im Unterschied dazu für das Krankenhaus kein ausdrücklicher Versorgungsauftrag für Strahlentherapie bestanden, sodass das Krankenhaus gerade nicht verpflichtet gewesen wäre, die entsprechende Ausstattung vorzuhalten. Derartige Leistungen seien im Krankenhaus der Klägerin nicht regelmäßig notwendig und sie seien nicht regelmäßig und planvoll auf Dritte ausgelagert worden.

FAZIT/PRAXISHINWEIS

Krankenhausleitungen werden im Rahmen ihrer Compliance-Verpflichtungen und dort insbesondere bei der Bestimmung der „roten Linie“ für ihre organisatorischen Entscheidungen betreffend Übertragung von Aufgaben auf Dritte, die nicht zu Beeinträchtigungen der Rentabilitätsinteressen des Krankenhausträgers führen und nicht die Vermögensbetreuungspflichten verletzen dürfen, ihre Auslagerungs- und Übertragungsentscheidungen auch im Lichte des Urteils des Landessozialgerichtes Hamburg vom 23.06.2022 überprüfen müssen. Dabei hat das Landessozialgericht Hamburg die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen. Die Sache ist dort zum Az. BSG – B 1 KR 18/22 R anhängig, sodass auch zu beobachten ist, ob die vom Landessozialgericht Hamburg hier bestimmten „roten Linien“ für zulässige Auslagerungen von Leistungen vom Bundessozialgericht bestätigt werden.

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Dr. Thomas Ritter

Dr. Thomas Ritter

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