EuGH zur statischen Fortgeltung (kleiner) dynamischer Bezugnahmeklauseln nach einem Betriebsübergang

In zwei Vorabentscheidungsverfahren beim Europäischen Gerichtshof zeichnet sich ab, dass die Betriebsübergangsrichtlinie so auszulegen ist, dass kleine dynamische Bezugnahmeklauseln nach einem Betriebsübergang nur statisch fortgelten (EuGH, Schlussantrag vom 19.01.2017 – C-680/15; C-681/15).

Der Fall

Die Arbeitsverträge der in den beiden Verfahren klagenden Arbeitnehmern enthielten dynamische Bezugnahmeklauseln, so dass auf die Arbeitsverhältnisse mit dem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber (Veräußerer) der

Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (im Folgenden BMT-G II) und den diesen ergänzenden, ändernden und ersetzenden Tarifverträgen

Anwendung fand. Die Arbeitsverhältnisse gingen im Wege eines Betriebsübergangs auf den später beklagten Arbeitgeber (Erwerber) über, der ebenfalls nicht kraft Verbandsmitgliedschaft an die arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Tarifverträge gebunden ist.

Der Erwerber vertrat nach dem Betriebsübergang die Ansicht, an die später eintretenden Änderungen des Tarifvertrags, insbesondere den den BMT-G II ersetzenden TVöD und den zur Überleitung abgeschlossenen TVÜ-VKA, nicht gebunden zu sein. Stattdessen fände auf die Arbeitsverhältnisse der Kläger der BMT-G II in der zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs geltenden Fassung statisch weiter Anwendung.

Die Kläger beantragten beim Arbeitsgericht die Feststellung, dass auf ihre Arbeitsverhältnisse sowohl der TVöD als auch der TVÜ-VKA in ihrer jeweils geltenden Fassung („dynamisch“) Anwendung finden.

Die Klagen hatten beim jeweiligen Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht Erfolg. Das Bundesarbeitsgericht ersuchte am 17.06.2015 vor seiner Entscheidung im Revisionsverfahren den Europäischen Gerichtshof um eine Vorabentscheidung zur Auslegung der Betriebsübergangsrichtlinie.

Bisherige Rechtsprechung des BAG

Das Bundesarbeitsgericht ist in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass in der oben geschilderten Situation der sogen. „kleinen dynamischen Bezugnahmeklausel“ (für ab dem 01.01.2002 abgeschlossene Arbeitsverträge) der in Bezug genommene Tarifvertrag nach dem Betriebsübergang dynamisch weitergelte, so dass der Betriebserwerber auch später in Kraft tretende Tarifänderungen an die betroffenen Arbeitnehmer weiterzugeben habe.

Europäische Rechtslage

§ 613a BGB wurde aufgrund der EU-Richtlinie 2001/23 („Betriebsübergangsrichtlinie“) in das deutsche BGB eingefügt, um den europäischen Anforderungen an die Absicherung der Arbeitnehmerrechte bei dem Erwerb von Unternehmen, Betrieben bzw. Teilen von Unternehmen oder Betrieben Rechnung zu tragen.

Art. 3 Abs. 3 der RL 2001/23 betrifft die Weitergeltung kollektivrechtlich geregelter Arbeitsbedingungen:

„(3) Nach dem Übergang erhält der Erwerber die in einem Kollektivertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen bis zur Kündigung oder zum Ablauf des Kollektivvertrages bzw. bis zum Inkrafttreten oder bis zur Anwendung eines anderen Kollektivertrages in dem gleichen Maße aufrecht, wie sie in dem Kollektivvertrag für den Veräußerer vorgesehen war.

Die Mitgliedsstaaten können den Zeitraum der Aufrechterhaltung der Arbeitsbedingungen begrenzen, allerdings darf dieser nicht weniger als ein Jahr betragen.

Aus Art. 3 Abs. 3 der RL 2001/23 leitet der EuGH ab, dass bei einer statischen Bezugnahmeklausel die später eintretenden Änderungen des in Bezug genommenen Tarifwerks nicht vom Erwerber übernommen werden müssen (vgl. EuGH, Urteil vom 09.03.2006 – C-499/04 – Werhof). Der EuGH wies bereits in der Entscheidung Werhof ausdrücklich daraufhin, dass die Betriebsübergangsrichtlinie nur bezweckt, die am Tag des Übergangs bestehenden Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer zu wahren, nicht jedoch bloße Erwartungen und hypothetische Vergünstigungen, die sich aus zukünftigen Entwicklungen der Kollektivverträge ergeben können.
Mit der Entscheidung „Alemo-Herron“ (EuGH, Urteil vom 18.7.2013 – C-426/11) führte der EuGH seine Rechtsprechung konsequent fort: Hat der Erwerber keine Möglichkeit, an den Verhandlungen zu den in Bezug genommenen Tarifwerken teilzunehmen, könne er nicht verpflichtet sein, diese Änderungen an die von ihm übernommenen Arbeitnehmer weiterzugeben, selbst wenn deren Arbeitsverträge dynamisch auf dieses Tarifwerk verweisen. Aus europarechtlicher Sicht sei nur die statische Fortgeltung der in Bezug genommenen Tarifwerke geboten.

Zum aktuellen Fall

In dem vom Bundesarbeitsgericht 2015 vorgelegten Fall einer kleinen dynamischen Bezugnahmeklausel und deren Fortgeltung nach dem Betriebsübergang hat der Generalanwalt am 19.01.2017 seinen Schlussantrag abgegeben, der erfahrungsgemäß die Grundlage für das Urteil der Kammer bildet. Nach den Ausführungen des Generalanwalts gebietet es das Europarecht nicht, dass der nicht tarifgebundene Erwerber Änderungen eines arbeitsvertraglich dynamisch in Bezug genommenen  Tarifvertrags auf die Arbeitsverhältnisse der auf ihn übergegangenen Arbeitnehmer anwenden muss.

Hervorzuheben sind die folgenden beiden Argumente des Generalanwalts:

(1) Die RL 2001/23 bezwecke lediglich die Wahrung der Rechte der übergehenden Arbeitnehmer am Tag des Betriebsübergangs. Vom Schutzzweck ausdrücklich nicht umfasst sei dagegen, dass die Arbeitnehmer beim Erwerber die gleichen Arbeitsbedingungen genießen, wie sie sie bei einer Weiterbeschäftigung beim Veräußerer aufgrund der dynamischen Verweisungsklausel genossen hätten.

(2) Die ebenfalls europarechtlich verankerte unternehmerische Freiheit des Erwerbers (Art. 16 der Charta der Grundrechte) verbiete eine Lösung, durch die eine unbegrenzte und ungewisse Belastung des Erwerbers mit Verpflichtungen aus künftigen Kollektivverträgen, die er nicht beeinflussen kann, verbunden wäre.

Fazit

Die Auffassung des Generalanwalts verdient vollste Zustimmung. Die Übernahme der Arbeitnehmer und der für diese geltenden Arbeitsbedingungen ist üblicherweise keine freiwillige Entscheidung des Betriebserwerbers, sondern gesetzlich angeordnete Rechtsfolge des Betriebsübergangs (§ 613a BGB). Im Gegensatz zu dem Veräußerer, der den Inhalt der Arbeitsverträge gestalten konnte, hat sich der Erwerber nicht aus freien Stücken für eine dynamische Bezugnahme auf von ihm nicht zu beeinflussende Tarifwerke entschieden. Auf der anderen Seite bleibt der Erwerber an den Tarifvertrag, wie er zum Zeitpunkt des Übergangs vorliegt, gebunden, so dass die Arbeitnehmer eine Absicherung des status quo erfahren. Die vom Generalanwalt vorgeschlagene Lösung über eine Entdynamisierung bringt die beiderseitigen Interessen von Erwerber und übergehenden Arbeitnehmern somit in einen angemessenen Ausgleich.

Quelle: Vorabentscheidungsersuchen des Bundesarbeitsgerichts, 4 AZR 61/14 (A) – Gründe