EuGH stärkt Urlaubsanspruch bei Verfall und Verjährung

Wenn ein Arbeitgeber die Arbeitnehmer nicht auf den möglichen Verfall von Urlaub hingewiesen hat, kann ein Urlaubsanspruch nicht verjähren. Die deutschen Regelungen zur Verjährung sind insoweit unionsrechtswidrig. Denn ein Arbeitgeber, der seine Hinweispflichten verletzt, dürfe nicht noch mit der Verjährung belohnt werden, urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH v. 22.09.2022 – C-120/21).

Der Fall

Die Parteien stritten um den Verfall des Urlaubsanspruches.

Eine Arbeitnehmerin nahm ihren gesetzlichen Mindesturlaub nicht völlig in Anspruch. Sie begründete dies mit dem hohen Arbeitsaufwand in der Kanzlei und forderte eine Abgeltung der Urlaubstage.

Die Hinweis- und Mitwirkungsobliegenheiten, dass der Urlaub verfallen kann, wenn die Arbeitnehmerin ihn nicht nimmt, hatte ihr Arbeitgeber indes nicht erfüllt. Die Mitarbeiterin machte sodann – nach ihrem Ausscheiden 2018 – die Abgeltung des Urlaubs der Vorjahre geltend. Der Arbeitgeber berief sich indes auf die Verjährung dieser Ansprüche.

Während das erstinstanzlich erkennende Arbeitsgericht Solingen die Klage hinsichtlich der nach nationalem Recht verjährten Ansprüche abwies, gab das Landesarbeitsgericht Düsseldorf der Klägerin Recht. Auf die arbeitgeberseitige Revision legte das BAG dem EuGH die Sache zur Vorabentscheidung vor. Der EuGH sollte klären, ob das Unionsrecht die Verjährung des Urlaubsanspruchs gem. §§ 194 Abs. 1, 195 BGB trotz Verletzung der Hinweispflichten gestatte.

Die Entscheidung

 Der EuGH entschied nun, dass es unionsrechtswidrig sei, wenn der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, den ein Arbeitnehmer für einen Bezugszeitraum erworben hat, nach Ablauf einer Frist von drei Jahren verjährt, deren Lauf mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem dieser Anspruch entstanden ist, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht tatsächlich in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch wahrzunehmen. Es sei zwar richtig, dass der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse daran habe, nicht mit Anträgen auf Urlaub oder finanzieller Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub konfrontiert werden zu müssen, die auf mehr als drei Jahre vor Antragstellung erworbene Ansprüche gestützt werden. Allerdings sei dieses Interesse nicht mehr berechtigt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor nicht in die Lage versetzt habe, den Urlaub tatsächlich wahrzunehmen. Denn dadurch habe er sich selbst in eine Situation gebracht, in der er mit solchen Anträgen konfrontiert werde und überdies zulasten des Arbeitnehmers Nutzen ziehen könnte. Der Arbeitgeber muss für den Beginn der Verjährung jedenfalls seinen Mitwirkungs- und Hinweisobliegenheiten nachgekommen sein.

Das nationale Verjährungsrecht Deutschlands stünde den Vorgaben der Arbeitszeitrichtlinie entgegen, wenn dies zum Urlaubsverfall beim nicht aufgeklärten Arbeitnehmer führe.

Das Fazit

Der EuGH hat die Rechte von Beschäftigten und das Urlaubsrecht mit dieser Entscheidung weiter gestärkt und ist damit im Einklang mit seinen vergangenen Entscheidungen. Das Gericht betont seit jeher, dass der Anspruch auf Erholungsurlaub als „wesentlicher Grundsatz des Sozialrechts der Union zwingenden Charakter“ (EuGH v. 06.11.2018 – C-684/16) genießt. Einschränkungen daran sind grundsätzlich unzulässig. Nach dem EuGH erscheint es nunmehr notwendig, dass positive Kenntnis über die Rechtslage vorliegt für den Beginn der Verjährung. Die Kenntnis der tatsächlichen Umstände scheint indes nicht auszureichen. Diese „Einschränkung“ des Verjährungsbeginns scheint jedoch fragwürdig, denn schließlich schützen Verjährungsvorschriften den Rechtsfrieden und dienen tatsächlich der Rechtssicherheit.

Der EuGH legt jedoch besonderen Wert auf die Mitwirkungs- und Hinweisobliegenheiten der Arbeitgeber. So hat der EuGH in zwei anderen Entscheidungen vom selben Tag (v. 22.09.2022 – C-518/20 und C-727/20) ebenfalls den Urlaubsanspruch der Arbeitnehmer gestärkt. Nach dem Verständnis des BAG erlöschen gesetzliche Urlaubsansprüche bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit 15 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahrs. Der BAG ersuchte den EuGH in diesem Rahmen hinsichtlich der Frage, was gelten würde, wenn der Arbeitnehmer erst im Verlauf des Urlaubsjahrs ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt und bis dahin zumindest teilweise Urlaub hätte nehmen können. Der EuGH entschied auch hier: Zwar dürfe Urlaub nach 15 Monaten durchgehender Arbeitsunfähigkeit verfallen, das stehe im Einklang mit dem Unionsrecht. Bei dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit im laufenden Urlaubsjahr komme ein Verfall für den Urlaubsanspruch aus diesem Jahr aber nur in Betracht, wenn der Arbeitgeber zuvor über den Urlaubsanspruch unterrichtet habe.

Für Arbeitgeber ist also eindeutig: Die Mitwirkungs- und Hinweisobliegenheiten gegenüber den Arbeitnehmern für deren Urlaubsanspruch sind ausnahmslos zu beachten.

Nur wer den Nachweis als Unternehmen, dass er seinen Mitwirkungs- und Hinweisobliegenheiten nachgekommen ist, erbringen kann, kann sich auf die Verjährung berufen. Arbeitgebern ist also vor dem Hintergrund dieser weiteren Stärkung der Urlaubsrechte der Arbeitnehmer noch dringlicher zu empfehlen, rechtzeitig im Urlaubsjahr deutlich auf den bestehenden Resturlaub und die gesetzliche Rechtsfolge des Verfalls zum Jahresende hinzuweisen. Daneben muss die Urlaubsnahme auch tatsächlich vom Arbeitgeber ermöglicht und darf nicht erschwert werden. Unternehmen, die jetzt im Oktober diese Mitwirkungs- und Hinweisobliegenheiten noch nicht erfüllt haben, sollten nun schnell handeln.

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Stephan Hinseln

Stephan Hinseln

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