Bundesarbeitsgericht ändert seine Rechtsprechung zum Widerspruchsrecht bei Ketten-Betriebsübergängen

Ist der Betrieb nach einem Betriebsübergang ein weiteres Mal auf einen neuen Erwerber übergegangen, so erlischt das Recht des Arbeitnehmers, dem ersten Übergang seines Arbeitsverhältnisses zu widersprechen, wenn er zumindest die „grundlegenden Informationen“ über die Umstände des Betriebsübergangs erhalten hat (BAG, Urteil vom 19.11.2015 – 8 AZR 773/14).

Nicht selten erleben Arbeitsverhältnisse über die Jahre eine regelrechte „Betriebsübergangshistorie“. Betriebe oder Betriebsteile wechseln mehrfach den Eigentümer und entsprechend erhalten die dort beschäftigten Arbeitnehmer auch mehrfach einen neuen Arbeitgeber. So war es dem Kläger in dem o.g. Rechtsstreit ergangen: Sein Arbeitsverhältnis ging im September 2007 im Wege eines Betriebsübergangs vom Arbeitgeber B auf V über (Betriebsübergang 1). Im Dezember 2008 folgten ein weiterer Betriebsübergang und ein Übergang des Arbeitsverhältnisses von V auf T (Betriebsübergang 2). Erst im November 2011 widersprach der Kläger sowohl dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses von B auf V als auch dem Übergang von V auf T.

Mit seiner Klage auf Feststellung, dass er nach wie vor in einem Arbeitsverhältnis zu B stünde, unterlag der Kläger in allen drei Instanzen. Das Bundesarbeitsgericht arbeitete in seinem Urteil heraus, dass das Recht des Klägers, dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf V im Rahmen des Betriebsübergangs 1 zu widersprechen, erloschen ist. Zwar genügte das Unterrichtungsschreiben nicht den (strengen) Anforderungen des § 613a Abs. 5 BGB, was das Bundesarbeitsgericht in einem anderen Verfahren rechtskräftig festgestellt hatte. Es genügte aber, dass der Kläger die „grundlegenden Informationen“ über den Betriebsübergang 1 erhalten und dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf V nicht innerhalb der Monatsfrist widersprochen hatte.

Bislang hatte das Bundesarbeitsgericht in solchen Fällen mit dem Rechtsinstitut der Verwirkung gearbeitet (vgl. BAG, Urteil vom 11.12.2014 – 8 AZR 943/13): Grundsätzlich war ein Widerspruch gegen den mehrere Jahre zurückliegenden Übergang des Arbeitsverhältnisses auf einen Erwerber jedoch auch dann möglich, wenn der Arbeitgeber durch weitere Betriebsübergange zwischenzeitlich wieder gewechselt hatte. Es wurde jeder einzelne Übergang des Arbeitsverhältnisses in einer Betriebsübergangs-Kette gesondert geprüft: In dem oben geschilderten Fall wäre zuerst zu klären gewesen, ob das Arbeitsverhältnis im Rahmen des Betriebsübergangs 2 wirksam von V auf T übergangen war. Wenn hier, beispielsweise durch ein unvollständiges Unterrichtungsschreiben, die Widerspruchsfrist noch nicht in Gang gesetzt worden wäre, stünde als Zwischenergebnis fest, dass (noch) ein Arbeitsverhältnis zu V bestünde. In einem zweiten Schritt wäre der Betriebsübergang 1 zu prüfen: War auch hier die Widerspruchsfrist nicht in Gang gesetzt, so wäre dem Widerspruch gegen den Übergang und der Geltendmachung eines Arbeitsverhältnisses zum „ersten“ Arbeitgeber B nur noch die Verwirkung entgegen zu setzen.

Diese sehr weitreichende Prüfung der Betriebsübergange war für Betriebsveräußerer auch noch nach Ablauf mehrerer Jahre mit hohen Risiken verbunden: Bekanntermaßen sind die Anforderungen der Rechtsprechung an ein vollständiges und korrektes Unterrichtungsschreiben immens hoch. Arbeitnehmer können dieses auch noch Jahre nach einem Betriebsübergang einer gerichtlichen Überprüfung unterziehen, um wieder zu ihrem alten Arbeitgeber zurückzukehren. Eine aus Arbeitnehmersicht lohnenswerte Alternative, insbesondere in den Fällen, in denen der Arbeitsplatz beim Betriebserwerber gefährdet scheint.

Das Bundesarbeitsgericht hat mit der Entscheidung vom 19.11.2015 diese Risiken erfreulicherweise jedenfalls für diejenigen Betriebsveräußerer besser kalkulierbar gemacht, die am Anfang einer „Betriebsübergangs-Kette“ stehen: Ist das betreffende Arbeitsverhältnis im Rahmen eines weiteren Betriebsübergangs auf einen anderen Erwerber übergegangen, so misst das Bundesarbeitsgericht das erste Unterrichtungsschreiben an weniger strengen Kriterien. Es genügt, dass dieses die grundlegenden Informationen zum Betriebsübergang, d.h. den (geplanten) Zeitpunkt, Gegenstand des Betriebsübergangs, Übergang des Arbeitsverhältnisses und Angaben zur Person des Betriebserwerbers, in Textform enthält. Selbstredend müssen auch die grundlegenden Informationen korrekt und vollständig sein. Wenn sodann mindestens ein Monat zwischen dem ersten und dem zweiten Betriebsübergang lag und die Arbeitnehmer dem ersten Betriebsübergang nicht innerhalb der Monatsfrist widersprochen haben, können sie nicht Monate oder gar Jahre später geltend machen, das erste Unterrichtungsschreiben hätte nicht den Anforderungen des § 613a Abs. 5 BGB genügt, so dass die Widerspruchsfrist noch gar nicht in Gang gesetzt und ein Widerspruch gegen den Übergang nach wie vor möglich sei.

BAG, Urteil vom 19.11.2015 – 8 AZR 773/14 – Entscheidungsgründe

BAG, Urteil vom 11.12.2014 – 8 AZR 943/13 – Entscheidungsgründe