Unterlassungspflicht beinhaltet regelmäßig Pflicht zum Produktrückruf

Mit Beschluss vom 29.09.2016, Az. 1 ZB 34/15, hat der BGH entschieden, dass sich aus der Verpflichtung, eine Handlung zu unterlassen, durch die ein fortdauernder Störungszustand geschaffen wurde, gleichzeitig eine Pflicht zum Produktrückruf ergeben kann. Es handelt sich um eine Entscheidung im Vollstreckungsverfahren.

Das Oberlandesgericht München (6 U 4189/11) hatte die Vollstreckungsschuldnerin im Januar 2013 verurteilt, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr als Spirituosen gekennzeichnete Produkte unter der Bezeichnung „RESCUE TROPFEN“ und/oder „RESCUE NIGHTSPRAY“ zu bewerben oder zu vertreiben. Das Urteil war vorläufig vollstreckbar. Gegen dieses Unterlassungsgebot habe die Vollstreckungsschuldnerin verstoßen, indem sie ihre Abnehmerin (hier Apotheken) nicht um Rückgabe bereits ausgelieferter Produkte ersucht habe. Zwar sind Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche grundsätzlich zwei voneinander zu trennende Ansprüche. Aus dem Unterlassungsanspruch ergeben sich aber Handlungspflichten, wenn der Schuldner nur dadurch seiner Unterlassungspflicht gerecht wird. Die ergänzenden Handlungspflichten sind durch Auslegung des Unterlassungstenors, unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgebots, zu ermitteln. Die Prüfung, welche Beseitigungsmaßnahmen dem Vollstreckungsschuldner zumutbar sind, kann dabei dem Vollstreckungsverfahren überlassen bleiben, wenn sich nicht bereits aus dem vorangehenden Erkenntnisverfahren Hinweise darauf ergeben, dass dem Schuldner die Beseitigung des Störungszustandes unmöglich oder unzumutbar ist.

Ist dem Schuldner also der Vertrieb eines rechtsverletzenden Produktes untersagt, muss er auch auf Dritte einwirken, um das weitere Inverkehrbringen der Produkte zu unterbinden. Das gilt auch dann, wenn der Schuldner für Handlungen Dritter grundsätzlich nicht einzustehen hat. Insbesondere dann, wenn er von den Handlungen Dritter wirtschaftlich profitiert und damit rechnen muss, dass es durch deren Handlungen zu weiteren Verstößen kommt, muss er versuchen, auf diese einzuwirken und den weiteren Vertrieb der rechtsverletzenden Produkte zu verhindern. Hat er gegen seine Abnehmer keine rechtliche Handhabe, so muss er zumindest versuchen, die Rückgabe der Produkte zu ersuchen. Die Verletzungsgefahr besteht nämlich fort, solange die ausgelieferten Produkte weiterhin zum Verkauf erhältlich sind.

Zudem hat der BGH mit der Entscheidung seine Rechtsprechung zu kerngleichen Verletzungshandlungen um ein weiteres Puzzleteil bereichert. Im Erkenntnisverfahren war die Klägerin lediglich gegen den Vertrieb der Produkte „RESCUE TROPFEN“ und „RESCUE NIGHT SPRAY“ vorgegangen, auf die sich dann der Tenor bezog. Damit hat die Klägerin lediglich zwei Produkte aus einer ganzen Produktpalette von sog. RESCUE-Produkten ausgewählt und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Darin sah der BGH jedoch keinen Verzicht auf die Unterlassung auch kerngleicher Verletzungshandlungen. Von einem solchen Verzicht sei nur auszugehen, wenn sich aus der Auslegung des Klageantrages eine bewusste Beschränkung des Unterlassungsbegehrens ergebe. Aus den Ausführungen im vorangehenden Erkenntnisverfahren ergebe sich aber gerade, dass das Charakteristische der Verletzungshandlung die Bezeichnung „RESCUE“ für als Spirituosen gekennzeichnete Produkte sei. Denn dabei handelt es sich um eine gesundheitsbezogene Angabe (siehe zum Verlauf des Erkenntniserfahrens OLG München, Urt. v. 31.01.2013 – 6 U 4189/11; BGH-Vorlagebeschluss v. 12.03.2015 – I ZR 29/13; EuGH, Urt. v. 23.11.2016 – C-177/15). Mit dem weiteren Vertrieb der Produkte „RESCUE SPRAY“ und „RESCUE NIGHT TROPFEN“ hat die Vollstreckungsschuldnerin deshalb durch kerngleiche Verletzungshandlungen gegen das Unterlassungsgebot verstoßen. Mit seinem Beschluss hat der BGH die vorangehende Entscheidung im Vollstreckungsverfahren des OLG München insgesamt bestätigt.

Die hier in einem Verfahren betreffend das Recht des unlauteren Wettbewerbs ergangene Entscheidung dürfte von erheblicher Bedeutung für die Vollstreckung im ganzen Bereich des Gewerblichen Rechtsschutzes sein. Sie wirft vor allem weitere Fragen auf. Insbesondere dürfte die auf den ersten Blick für den Vollstreckungsgläubiger positive Entscheidung auch für diesen einige Risiken (insb. mit Blick auf mögliche Schadensersatzansprüche) mit sich bringen, wenn nämlich zu seinen Gunsten ein Produktrückruf auf Basis des nur vorläufig vollstreckbaren Unterlassungstitels erfolgt und der Titel am Ende keinen Bestand hat.

Quelle: BGH, Beschluss vom 29.09.2016, Az. 1 ZB 34/15

Autorin:
Rechtsanwältin Karina Grisse
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