BVerfG zu Sorgfaltsanforderungen der Presse bei Verdachtsberichterstattung

Verdachtsberichterstattung kann Existenzen vernichten - auch grundlos.

Immer wieder kommt es zu medial aufgebauschten Berichten über strafrechtliche Ermittlungsverfahren in denen Personen erkennbar gemacht werden, gegen die sich letztlich kein strafrechtlich relevanter Vorwurf erhärtet. Dabei geht es nicht nur um Fälle aus dem rein privaten Umfeld. Natürlich kommt es auch zu Ermittlungen, die das unternehmerische Handeln einzelner im Blick haben und sich um Fragen der Steuerhinterziehung, des Betrugs, der Produktfälschung und anderer Arten sittenwidrigen Geschäftsgebarens drehen. Werden solche Sachverhalte medial aufbereitet und dadurch wirtschaftliche bzw. unternehmerische Folgeschäden ausgelöst, lassen sich insbesondere die Image-Schäden im Nachhinein nicht einfach beheben. Selbst wenn Medien sich berichtigen oder darüber berichten, dass sich ein Verdacht nicht bestätigt hat, wird dies in aller Regel nicht die gleiche Aufmerksamkeit erhalten, wie die Berichterstattung über einen im Raum stehenden Verdacht. Hinzu kommt die Binsenweisheit „Das Internet vergisst nicht“. Selbst wenn Kunden und Geschäftspartner also entsprechend informiert werden, bleibt die Online-Berichterstattung meist dauerhaft abrufbar und wirkt auch noch Jahre später hoch aktuell.

Wer sich dem Vorwurf strafrechtlich relevanten Handelns ausgesetzt sieht oder befürchtet, dass über ein gegen ihn laufendes oder anstehendes Ermittlungsverfahren medial berichtet werden soll, hat die Chance sich gegen viele relevante Details einer solchen Berichterstattung (z.B. Identifizierung oder Identifizierbarkeit der eigenen Person) zu wehren oder diese ganz untersagen zu lassen. Die deutsche Zivilgerichtsrechtsprechung zur Verdachtsberichterstattung ist vielfältig und – wie hier – in vielen Fällen verfassungsrechtlich tragfähig.

Die von der deutschen Rechtsprechung entwickelten und verfassungsrechtlich gebilligten Sorgfaltsanforderungen an Verdachtsberichterstattung, sind im Vergleich zu anderen Rechtsordnungen (z.B. USA) hoch. Dabei sind die Pflichten, die aus dem Schutz der Persönlichkeitsrechte des Einzelnen abgeleitet und der Presse auferlegt werden, stets in Einklang mit den die Presse schützenden Grundrechten zu bringen. Je stärker eine Berichterstattung die Rechtspositionen der durch sie betroffenen Dritten beeinträchtigt, desto höher sind die Sorgfaltsanforderungen; dabei ist – zugunsten der Presse – aber auch das Interesse der Öffentlichkeit an derartigen Äußerungen abwägend zu berücksichtigen. Insbesondere dürfen die Gerichte im Interesse der Meinungsfreiheit keine Anforderungen stellen, welche die Bereitschaft zum Gebrauch des Grundrechts herabsetzen und so auf die Meinungsfreiheit insgesamt einschnürend wirken können. Diese Grenze wird aber nicht schon dadurch erreicht, dass die Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung von einem Mindestmaß an Beweistatsachen abhängig gemacht wird, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen.

Jüngst hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde eines Presseorgans in Anwendung dieser Maßstäbe nicht angenommen (Beschl. v. 18.03.2020 – 1 BvR 34/17). Die Beschwerdeführerin richtete sich gegen die Verurteilung zur Unterlassung einer Verdachtsberichterstattung über ein Steuerstrafverfahren, durch die sie sich in ihrer Meinungs- und Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG) verletzt sah.

Der Entscheidung des BVerfG lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Die Beschwerdeführerin berichtete darüber, dass eine deutschlandweit bekannte Schlagersängerin gegenüber dem Finanzamt Honorare und Gagen nicht angegeben haben soll und deswegen ein Ermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet worden sei. Das zuständige Finanzamt hatte sich selbst nicht öffentlich zu dem Fall geäußert und keine Auskünfte erteilt. Es hatte jedoch ein Auskunfts- und Vorlageersuchen an einen Zeugen versandt, in dem dieser aufgefordert wurde, unter anderem Kopien von Verträgen mit der Beschuldigten zu übergeben sowie mitzuteilen, ob und welche Zahlungen er für Leistungen der Beschuldigten getätigt hatte.

Das Landgericht verurteilte die Beschwerdeführerin nach vorheriger gleichlautender einstweiliger Verfügung, diese Berichterstattung zu unterlassen. Ein Mindestbestand an Beweistatsachen, der für den Wahrheitsgehalt des mitgeteilten Verdachts spreche, sei nicht gegeben. Einziger Anhaltspunkt sei das an den Zeugen gerichtete Schreiben des Finanzamts gewesen. Die bloße Tatsache der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens genüge ohne weitere Recherche und Anhaltspunkte jedoch nicht für eine zulässige Verdachtsberichterstattung. Die Schwelle für einen Anfangsverdacht liege zu niedrig und auch Anzeigen mit falschen Tatsachenbehauptungen könnten bereits zu Ermittlungsverfahren führen. Aus dem Auskunftsersuchen gehe auch nicht hervor, dass dem Finanzamt bereits Tatsachen bekannt gewesen seien, die einen erhärteten Tatverdacht begründet hätten. Die Berufung der Beschwerdeführerin wies das Oberlandesgericht mit im Wesentlichen gleicher Begründung zurück.

Das BVerfG hat entschieden, dass die Beschwerdeführerin hierdurch nicht unverhältnismäßig in ihren Grundrechten beschränkt wurde und die Gerichte sich mit ihren Entscheidungen im Rahmen der ihnen verbleibenden Wertungsspielräume bewegten.

Zurecht sei über die Instanzen hinweg betont worden, dass sich aus dem Auskunfts- und Vorlageersuchen des Finanzamtes lediglich ergab, dass die Behörde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens einem Zeugen offen gehaltene Fragen gestellt hatte, aus denen weder der Ermittlungsstand, seine Erhärtung noch der konkrete Grund für die Eröffnung des Ermittlungsverfahrens ersichtlich waren und daher weitere Recherche zur Erhärtung des publizierten Verdachts geboten gewesen wäre.

Daran ändere auch nichts, dass die Verfasserin des Schreibens (das Finanzamt) eine Behörde sei. Denn es handele sich nicht um eine offizielle Verlautbarung, sondern um eine Maßnahme der behördlichen Informationsgewinnung. Die Gerichte haben daher zu Recht angenommen, dass das Schreiben nur eine wenig aussagekräftige Anknüpfungstatsache für den daraus geschlussfolgerten und publizierten Verdacht darstellte. Denn ein die Strafverfolgungsbehörden zu Ermittlungen und zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts verpflichtender Anfangsverdacht könne schon bei sehr entfernten Verdachtsgründen bestehen. Auch die Tatsache, dass das Ermittlungsverfahren bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht noch nicht abgeschlossen war, führe zu keinem anderen Ergebnis. Allgemein gültige Rückschlüsse aus der Länge eines Ermittlungsverfahrens auf den jeweiligen Verdachtsgrad ließen sich nicht ziehen; konkrete Umstände lege die Beschwerdeführerin insoweit nicht dar. Auch sei nicht erkennbar, dass Anhaltspunkte für eine besonders weitreichende Dimension der etwaigen Straftaten im Raum stehen.

Auch wenn wegen der Allgemeinschädlichkeit der Steuerhinterziehung und der Leitbild- und Kontrastfunktion der Beschuldigten als prominenter Personen das öffentliche Berichterstattungsinteresse grundsätzlich als hoch zu gewichten war, durften die Gerichte zugunsten der Beschuldigten berücksichtigen, dass aufgrund ihrer Tätigkeit als Schlagersängerin jedenfalls kein besonders gesteigertes Interesse der Öffentlichkeit gerade an ihrem Finanzgebaren bestand.

Eine Grundrechtsverletzung wurde daher im Ergebnis verneint.

Empfehlung: Entscheidend ist häufig schnelles Handeln. Sobald privat oder im Unternehmen eine Presseanfrage mit ggf. auch sehr kurzer Stellungnahmefrist gesetzt wird, sollte Kontakt zu einem Rechtsanwalt aufgenommen werden, um mögliche Optionen zu prüfen. Nur so bleibt die Möglichkeit, Verdachtsberichterstattung zu beeinflussen bevor sie erscheint – worin immer das oberste Ziel liegen sollte. Denn nur so können unnötig diskreditierende Sachverhalte aus dem Netz gehalten werden, wo sie sich schnell unkontrolliert verbreiten.