Berücksichtigung sämtlicher wahrscheinlicher Verwendungsformen einer Marke im Rahmen der Prüfung ihrer Unterscheidungskraft

In seinem Beschluss vom 30.01.2020 hat der BGH (Az. I ZB 61/17) festgestellt, dass bei der Prüfung einer Marke auf das Vorliegen des absoluten Schutzhindernisses der fehlenden Unterscheidungskraft im Eintragungsverfahren sämtliche praktisch bedeutsamen und naheliegenden Verwendungsformen des Zeichens miteinbezogen werden müssen.

Sachverhalt

Am 17.11.2015 meldete die Anmelderin die nationale deutsche Wortmarke „#darferdas?“ u. a. für die Waren „Bekleidungsstücke, insbesondere T-Shirts; Schuhwaren; Kopfbedeckung“ in Klasse 25 an. Das Deutsche Patent- und Markenamt wies die Anmeldung wegen fehlender Unterscheidungskraft i. S. d. § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG zurück.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Anmelderin blieb ohne Erfolg. Das BPatG war wie schon das Amt der Ansicht, dass der angemeldeten Wortmarke für die voran genannten Waren jegliche Unterscheidungskraft fehle.

Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgte die Anmelderin ihr Eintragungsbegehren weiter. Im Rahmen des Rechtsbeschwerdeverfahrens hatte der BGH dem EuGH die folgende Frage zur Auslegung von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95/EG zur Vorabentscheidung vorgelegt (vgl. BGH Beschluss vom 21.06.2018, Az. I ZB 61/17 – #darferdas? I):

„Hat ein Zeichen Unterscheidungskraft, wenn es praktisch bedeutsame und naheliegende Möglichkeiten gibt, es für die Waren oder Dienstleistungen als Herkunftshinweis zu verwenden, auch wenn es sich dabei nicht um die wahrscheinlichste Form der Verwendung des Zeichens handelt?“

[Anmerkung: Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95/EG lautet:

„Folgende Zeichen oder Marken sind von der Eintragung ausgeschlossen oder unterliegen im Falle der Eintragung der Ungültigerklärung:

[…]

b) Marken, die keine Unterscheidungskraft haben; […].]

Das Eintragungshindernis der fehlenden Unterscheidungskraft aus Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95/EG ist nunmehr in Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie (EU) 2015/2436 geregelt und wird unverändert durch § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG umgesetzt.]

Der EuGH hat diese Frage mit Urteil vom 12.09.2019 (vgl. Rs. C-541/18 – #darferdas?) wie folgt beantwortet:

„Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95/EG ist dahin auszulegen, dass die Unterscheidungskraft eines als Marke angemeldeten Zeichens unter Berücksichtigung aller relevanten Tatsachen und Umstände, einschließlich sämtlicher wahrscheinlicher Verwendungsarten der angemeldeten Marke, zu prüfen ist. Mangels anderer Anhaltspunkte handelt es sich dabei um die Verwendungsarten, die angesichts dessen, was in der betreffenden Branche üblich ist, praktisch bedeutsam sein können.“

Entscheidung

Die zulässige Rechtsbeschwerde der Anmelderin hat Erfolg. Der BGH stellt fest, dass die Beurteilung des BPatG, der angemeldeten Wortmarke „#darferdas?“ fehle für die in Rede stehenden Waren jegliche Unterscheidungskraft i. S. d. § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG, der rechtlichen Nachprüfung nicht standhalte. Er hebt deshalb die Entscheidung der Vorinstanz auf und verweist die Sache an diese zurück.

Seine Entscheidung begründet der Senat insbesondere damit, dass das BPatG unzutreffend davon ausgegangen sei, dass bei der Prüfung des Schutzhindernisses der fehlenden Unterscheidungskraft auf die wahrscheinlichste Verwendungsform des angemeldeten Zeichens abzustellen sei. Es habe lediglich die aus seiner Sicht wahrscheinlichste und praktisch bedeutsame Verwendungsform, nämlich eine Verwendung der Zeichenfolge als deutlich sichtbaren Schriftzug auf der Vorder- oder Rückseite von Bekleidungsstücken (z. B. T-Shirts) oder als erkennbaren Schriftzug auf Kopfbedeckungen oder Schuhwaren, berücksichtigt. Ebenfalls denkbare – aber weniger wahrscheinliche und auch praktisch nicht so bedeutsame – anderweitige Verwendungen habe es seiner Beurteilung nicht zusätzlich zugrunde gelegt. So habe es zwar die Verwendung des angemeldeten Zeichens für die fraglichen Waren, beispielsweise durch dessen Anbringung auf dem Etikett eines Kleidungsstücks, als ebenfalls denkbar, aber weniger wahrscheinlich und auch praktisch nicht so bedeutsam erachtet und daher nicht in die Beurteilung miteinbezogen.

Der BGH macht deutlich, dass die Feststellung, ob der Verkehr ein auf einem Bekleidungsstück angebrachtes Zeichen als Hinweis auf die Herkunft dieses Bekleidungsstücks oder lediglich als dekoratives Element auffasse, nach der Art und der Platzierung des Zeichens variieren könne. Er führt weiter aus, dass der Verkehr bei Bildern, Motiven, Symbolen und Wörtern, die auf der Vorder- oder Rückseite von Bekleidungsstücke angebracht seien, nicht ohne Weiteres davon ausgehe, dass es sich bei diesen um einen Herkunftshinweis handele. Für eine entsprechende Feststellung sei vielmehr eine Einzelfallbeurteilung erforderlich. Zeichen, welche sich wiederum auf eingenähten Etiketten auf der Innenseite von Bekleidungsstücken befinden würden, fasse der Verkehr aber in der Regel als Herkunftshinweis auf.

Der Senat führt in diesem Zusammenhang aus, dass für die entsprechende Beurteilung der Verkehrsauffassung zur Feststellung der Unterscheidungskraft insbesondere die Kennzeichnungsgewohnheiten im maßgeblichen Warensektor relevant seien. In dieser Hinsicht seien besonders die Art und Weise, in der Kennzeichnungsmittel bei den betreffenden Waren üblicherweise verwendet, und insbesondere die Stelle, an der sie angebracht würden, entscheidend.

Vor dem Hintergrund der Antwort des EuGH auf die Vorlagefrage sei die Ansicht des BPatG, dass im Rahmen der Beurteilung der Unterscheidungskraft (alleine) auf die wahrscheinlichste Verwendungsform des Zeichens abzustellen sei, abzulehnen. So müsse die Unterscheidungskraft eines als Marke angemeldeten Zeichens gemäß dem Urteil des EuGH unter Berücksichtigung aller relevanten Tatsachen und Umstände, einschließlich sämtlicher wahrscheinlicher Verwendungsarten der angemeldeten Marke, geprüft werden. Seien in der entscheidenden Branche mehrere Verwendungsarten praktisch bedeutsam, müssten diese verschiedenen Verwendungsarten demzufolge alle bei der Prüfung der Unterscheidungskraft berücksichtigt werden, um zu beurteilen, ob der Durchschnittsverbraucher der relevanten Waren oder Dienstleistungen das Zeichen als Hinweis auf ihre betriebliche Herkunft auffassen könne.

In dieser Hinsicht weist der BGH jedoch auch darauf hin, dass diejenigen Verwendungsarten, die in der betreffenden Branche zwar denkbar, praktisch aber nicht bedeutsam seien und daher wenig wahrscheinlich wären, im Rahmen der Prüfung der Unterscheidungskraft wiederum keine Berücksichtigung finden könnten, sofern der Anmelder nicht konkrete Anhaltspunkte liefern würde, die eine in der fraglichen Branche grundsätzlich unübliche Verwendungsart in seinem Fall wahrscheinlich machten. Zudem stellt er klar, dass die Prüfung der Unterscheidungskraft nur in den Fällen auf die wahrscheinlichste Verwendung der angemeldeten Marke beschränkt werden könne, in denen in der streitgegenständlichen Branche ausschließlich eine Verwendungsart praktisch bedeutsam sei.

Abschließend weist der Senat darauf hin, dass das BPatG nunmehr zu prüfen habe, ob der Verkehr das Zeichen „#darferdas?“ unter Berücksichtigung der verschiedenen Verwendungsarten, insbesondere auch auf dem Etikett eines Kleidungsstücks, als Herkunftshinweis im Hinblick auf die mit diesem gekennzeichneten Waren auffassen könne.

Quelle: BGH, Beschluss vom 30.01.2020, Az. I ZB 61/17