Äußerungsrechtlicher Eilrechtsschutz: Abmahnung und Verfügungsantrag müssen identisch sein

Soll die prozessuale Einbeziehung der Gegenseite in ein Verfügungsverfahren über die Unterlassung einer Äußerung aus Gründen der Dringlichkeit vermieden werden, kann dies nur dann erreicht werden, wenn eine vorprozessuale Abmahnung erfolgt ist und diese mit dem Verfügungsantrag identisch ist. Dies hat das BVerfG in einem Beschluss vom 03. Juni 2020 klargestellt (1 BvR 1246/20).

Hintergrund

Für einen Paukenschlag sorgte das BVerfG im Herbst 2018 mit zwei Entscheidungen, in denen es der in weiten Teilen gängige Praxis der Zivilgerichte einen Riegel vorschob, in äußerungsrechtlichen Eilverfahren einstweilige Verfügungen ohne vorherige Stellungnahmemöglichkeit für den Antragsgegner oder nach allein dem Antragsgegner telefonisch erteilten Hinweisen zur Nachbesserung der Antragsstellung zu erlassen. Hierin sah das Verfassungsgericht eine Verletzung des Rechts auf prozessuale Waffengleichheit (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG), die sich auch nicht mit der in Pressesachen häufig gegebenen Eilbedürftigkeit rechtfertigen lasse. Einen Ausweg zeigte das BVerfG aber dadurch auf, dass es die Gehörsgewährung als erfüllt ansah, wenn der Gegner vorprozessual abgemahnt wurde und die Möglichkeit zur Erwiderung hierauf hatte. Das Zurückweisungsschreiben des Antragsgegners muss der Antragssteller zusammen mit seiner Antragsschrift bei Gericht einreichen.

Entscheidung des BVerfG

In seiner neuerlichen Entscheidung zu einem Verfügungsverfahren vor dem LG Berlin, das inhaltlich den Streit zwischen zwei Polizeigewerkschaften um Äußerungen bezüglich der Vorbereitung von Personalratswahlen bei der Bundespolizei während der Covid-19 Pandemie betraf, hat das BVerfG nun konkretisiert, welche Anforderungen an eine vorprozessuale Abmahnung zu stellen sind, damit sie die prozessuale Einbeziehung der Gegenseite in das einstweilige Verfügungsverfahren ersetzen kann. Nach den Ausführungen des Gerichts setzt dies absolute Kongruenz von Abmahnung und Verfügungsantrag voraus. Dies sei nicht der Fall, wenn im Verfügungsantrag auf das vorprozessuale Erwiderungsschreiben argumentativ repliziert werde, neue Anträge enthalten seien oder nachträglich ergänzt oder klargestellt werde.

Der beim LG Berlin eingereichte Verfügungsantrag war nach den Feststellungen des BVerfG im Vergleich zur Abmahnung ausgebaut, ging teilweise auf Argumente aus der vorprozessualen Erwiderung ein und wurde nachträglich durch einen Hilfsantrag ergänzt. Die Karlsruher Richter nahmen daher einen Verstoß gegen das Recht auf prozessuale Waffengleichheit an, weil das LG Berlin ohne Anhörung des Antragsgegners eine teilstattgebende einstweilige Verfügung erlassen hatte.

Überdies rügte das BVerfG, dass das Berliner Gericht auf den Widerspruch des Antragsgengers Termin zur mündlichen Verhandlung erst für einen über zwei Monate späteren Zeitpunkt bestimmt hatte. In Fällen einer ausnahmsweise ohne Einbeziehung der Gegenseite erlassenen einstweiligen Verfügung bestehe aber im Gegenzug jedenfalls eine besondere Obliegenheit, die mündliche Verhandlung zeitnah anzuberaumen.

Praxishinweis

Ist damit zu rechnen, dass nach einer Abmahnung auch ein einstweiliger Verfügungsantrag folgen wird, sollte bereits bei der Abmahnung sehr genau darauf geachtet werden, dass alle zu rügenden Rechtsverstöße aufgenommen sind. Der spätere Verfügungsantrag sollte auf das gegnerischere Erwiderungsschreiben nicht eingehen. Diese Grundsätze dürften über das Äußerungsrecht hinaus auch für andere eilbehaftete Rechtsgebiete Gültigkeit beanspruchen.