BGH: Zugang einer E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr

Wird eine E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt, ist sie dem Empfänger grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zugegangen. Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang nicht erforderlich.

Sachverhalt

Mit Vertrag vom 19. August 2016 beauftragte die Beklagte die Klägerin mit der Erbringung von Metallbau- und Fassadenbegrünungsarbeiten. Nach Ausführung der Arbeiten rechnete die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Betrag in Höhe von 254.335,77 € netto ab.

Die Beklagte sandte der Klägerin eine Abrechnungsvereinbarung zu und wies als Schlusszahlung einen Betrag in Höhe von 14.538,36 € an. Wegen von der Beklagten vorgenommener Kürzungen an abgerechneten Nachtragspositionen widersprach die Klägerin der Schlusszahlung. Die Klägerin antwortete mit E-Mail ihres anwaltlichen Vertreters vom 14. Dezember 2018, 9:19 Uhr, die Forderung aus der Schlussrechnung belaufe sich mit Ausnahme des Sicherheitseinbehalts noch auf 14.347,23 €. Eine weitere Forderung werde nicht erhoben. Ferner sei der geltend gemachte Verzugsschaden in Höhe von Anwaltskosten zahlbar und fällig.

Mit weiterer E-Mail vom 14. Dezember 2018, 9:56 Uhr, erklärten die anwaltlichen Vertreter der Klägerin gegenüber der Beklagten, eine abschließende Prüfung der Forderungshöhe durch die Klägerin sei noch nicht erfolgt; die E-Mail von 9:19 Uhr müsse daher unberücksichtigt bleiben. Sie könnten derzeit nicht bestätigen, dass mit Zahlung des in dem Schreiben angeforderten Betrags keine weiteren Forderungen erhoben würden.

Unter dem 17. Dezember 2018 legte die Klägerin eine Schlussrechnung über eine Restforderung in Höhe von 22.173,17 €. Die Beklagte überwies an die Klägerin am 21. Dezember 2018 einen Betrag von 14.347,23 € auf die Hauptforderung sowie weitere 1.029,35 € auf die Rechtsanwaltskosten. Mit der Klage macht die Klägerin den Differenzbetrag in Höhe von 7.825,94 € geltend.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin, mit der sie ihren Klageantrag weiterverfolgt hat, hat keinen Erfolg gehabt.

Entscheidung

Dreh- und Angelpunkt der Entscheidung des BGH (Urt. vom 06.10.2022 – VII ZR 895/21) bildete die Frage, ob zwischen den Parteien ein wirksamer Vergleich dergestalt zustande gekommen war, dass mit der von der Beklagten am 21. Dezember 2018 bewirkten Zahlung in Höhe von insgesamt 15.376,58 € (14.347,23 € + 1.029,35 €) weitere Forderungen der Klägerin aus dem Vertrag der Parteien vom 19. August 2016 erloschen sind. Dies nahm der BGH im Ergebnis an und beschäftigte sich vor allem mit der Frage nach dem Zugang der E-Mail der Klägerin vom 14. Dezember 2018, 9:19 Uhr mit welcher diese unter anderem mitgeteilt hatte, dass weitere Forderungen nicht erhoben würden.

Nach Ansicht des BGH hat, die Klägerin der Beklagten mit E-Mail ihrer anwaltlichen Vertreter vom 14. Dezember 2018, 9:19 Uhr ein wirksames Angebot auf Abschluss eines Vergleichs im Sinne des § 779 BGB mit dem Inhalt unterbreitet, dass weitere Forderungen nicht erhoben würden, wenn die Beklagte einen restlichen Werklohn in Höhe von 14.347,23 € und den Verzugsschaden in Höhe der Rechtsanwaltskosten, die sich unstreitig auf 1.029,35 € belaufen, zahlt. Die Beklagte habe dieses Angebot durch die von ihr am 21. Dezember 2018 zur Anweisung gebrachte Zahlung in Höhe von insgesamt 15.376,58 € (14.347,23 € + 1.029,35 €) wirksam gemäß § 147 Abs. 2 BGB angenommen.

Das Angebot der Klägerin mit E-Mail vom 14. Dezember 2018, 9:19 Uhr, auf Abschluss eines Vergleichs sei der Beklagten zu diesem Zeitpunkt gemäß § 130 Abs. 1 BGB wirksam zugegangen, der Widerruf gemäß E-Mail vom selben Tage, 9:56 Uhr hingegen unbeachtlich. Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wird, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, gemäß § 130 Abs. 1 BGB in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht. Sie wird nicht wirksam, wenn dem anderen vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht. Der Zugang einer Willenserklärung unter Abwesenden setze voraus, dass sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit habe, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen.

Wann eine E-Mail als zugegangen gilt, sei in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt. Zum Teil werde angenommen, dass eine E-Mail dem Empfänger unmittelbar in dem Zeitpunkt zugeht, in dem sie abrufbereit in seinem elektronischen Postfach eingegangen ist. Eine Ausnahme solle für den Fall gelten, dass die E-Mail zur Unzeit oder außerhalb der üblichen Geschäftszeiten eingeht; in diesem Fall liege der Zugang der Erklärung am Folgetag. Nach anderer Ansicht gehe eine E-Mail dem Empfänger, wenn ein Abruf im geschäftlichen Verkehr erwartet werden kann, an dem Tag zu, an dem sie abrufbereit im Postfach liege. Maßgeblich sei danach, wann der Absender mit einer Kenntnisnahme der E-Mail nach dem üblichen Geschäftsablauf rechnen kann. Insoweit werde angenommen, dass ein Abruf der E-Mails spätestens bis zum Ende der Geschäftszeit zu erwarten ist.

Der Streitfall gebe keinen Anlass, die Rechtsfrage umfassend zu entscheiden. Jedenfalls für den nach den unangefochtenen Feststellungen des Berufungsgerichts gegebenen Fall, dass die E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt werde, sei sie dem Empfänger grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zugegangen. Denn damit ist die E-Mail so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass er sie unter gewöhnlichen Umständen zur Kenntnis nehmen kann. Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang nicht erforderlich.

Der von einem Empfänger für den Empfang von E-Mail-Nachrichten genutzte Mailserver sei jedenfalls dann, wenn der Empfänger durch Veröffentlichung der E-Mail-Adresse oder sonstige Erklärungen im Geschäftsverkehr zum Ausdruck bringe, Rechtsgeschäfte mittels elektronischer Erklärungen in Form von E-Mails abzuschließen, als sein Machtbereich anzusehen, in dem ihm Willenserklärungen in elektronischer Form zugehen können. Elektronische Willenserklärungen in Form von E-Mails werden als Datei gespeichert von dem Mailserver des Absenders an den Mailserver des Empfängers weitergeleitet. Dieser werde über den Eingang der E-Mail unterrichtet. In diesem Zeitpunkt sei der Empfänger in der Lage, die E-Mail-Nachricht abzurufen und auf seinem Endgerät anzeigen zu lassen.

Anmerkung

Auch wenn die Entscheidung des BGH keine grundlegenden Neuerungen bringt, verdeutlicht die Entscheidung einmal mehr, dass auch und insbesondere über einfache E-Mail-Kommunikation rechtserhebliche Erklärungen verbindlich und nicht ohne weiteres „zurückholbar“ kommuniziert werden. Der Widerruf einer per E-Mail abgegebenen Erklärung – wenn sowohl die erste Nachricht als auch die zweite Nachricht während der üblichen Geschäftszeiten erfolgen – scheidet jedenfalls im Regelfall aus.

Dass die elektronische Kommunikation gerade im Hinblick auf die eigentlich auf den Schriftverkehr ausgelegten Regelungen über Willenserklärungen manchmal schlicht zu schnell und nicht rückhol- oder widerrufbar ist, zeigt sich beim rechtsanwaltlichen beA in gleicher – und meist noch viel relevanterer – Weise.

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Dr. Sascha Vander, LL.M.

Dr. Sascha Vander, LL.M.

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