Präzedenzfall: Enteignung aus Gründen des Denkmalschutzes

Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik wurde der Eigentümer eines unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes enteignet, weil er dieses nicht ausreichend pflegte. Die in den Denkmalschutzgesetzen der Länder geregelten Enteignungsvorschriften wurden bis dahin nicht angewandt und galten deshalb als „zahnlose Tiger“.

Ein Thüringer Schloss hat jetzt neue Schlossherren

Im aktuellen Fall, der in den Medien ein großes Echo auslöste, hatte die Thüringische Landesregierung den Eigentümer des Schlosses Reinhardsbrunn enteignet. Das Verfahren wurde ursprünglich von der vormaligen CDU-Landesregierung angestoßen, da das als „Wiege Thüringens“ geltende Schloss zunehmend verfiel. Die aktuelle rot-rot-grüne Landesregierung führte das Verfahren weiter.

Schloss Reinhardsbrunn wurde im Jahr 1827 auf den Ruinen des Hausklosters der Ludowinger erbaut. Diese Thüringer Landgrafen errichteten unter anderem auch die Creuzburg und deren Schwesterburg, die als UNESCO-Weltkulturerbe geschützte Wartburg. Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte das Schloss eine turbulente Geschichte: 1945 wurde es in Volkseigentum überführt und diente bis 1961 als Schulungsstätte für Volkspolizei und Feuerwehr. Später Hotel verfiel es nach der Wende zusehends, bis es mehrmals für geringe Summen den Eigentümer wechselte und schließlich einer Gesellschaft eines russischen Oligarchen gehörte, der das Schloss verfallen ließ.

Nachdem sich sämtliche Versuche, eine Erhaltung des Schlosses anderweitig zu bewirken, als fruchtlos herausgestellt hatten, ließ die damalige Thüringische CDU-SPD Landesregierung im Jahr 2014 vom Jenaer Staatsrechtler Michael Brenner ein Gutachten zur Möglichkeit einer Enteignung ausarbeiten.

Adel verpflichtet – Eigentum auch?

Das Enteignungsverfahren wurde über die Norm des § 27 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 Thüringisches Denkmalschutzgesetz (ThürDSchG) vorgenommen. Danach ist eine Enteignung (unter anderem) zugunsten des Landes zulässig, soweit sie erforderlich ist, damit ein Kulturdenkmal in seinem Bestand erhalten bleibt.

Grundlage solcher Enteignungen ist die Sozialbindung des Eigentums. Sie fand sich in Art. 153 Abs. 3 Weimarer Reichsverfassung (WRV) und ist seit Gründung der Bundesrepublik in Art. 14 Abs. 2 Grundgesetz (GG) verfassungsrechtlich kodifiziert („Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“). Der im Verfahren maßgebliche Art. 34 Abs. 2 der Thüringer Verfassung (ThürVerf) stimmt mit Art. 14 Abs. 2 GG wortgleich überein.

Als erheblicher Grundrechtseingriff ist die Enteignung im Denkmalschutzrecht stets als „ultima ratio“ zu verstehen. Das Land sah sich im vorliegenden Fall außerstande, den Erhalt des Schlosses Reinhardsbrunn auf andere Art und Weise zu bewirken.

Dammbruch in Thüringen oder einzigartiger Fall?

Bereits im Jahr 2013, als die Diskussion über die Enteignung von Schloss Reinhardsbrunn noch in den Anfängen steckte, weckte das Verfahren Begehrlichkeiten. So regte der Abgeordnete Huster (Die Linke) im Landtag Thüringens seinerzeit an, als nächstes Objekt Schloss Hummelshain zu enteignen. Das im Jahr 1880 im wilhelminischen Historismus erbaute Schloss, welches im Jahr 1998 an einen privaten Investor verkauft wurde, war und ist ebenfalls in schlechtem Zustand. Die Anregung Husters wurde im Jahr 2013 in knappen Worten abgelehnt.

Die Frage, ob die Regierung des Freistaats die Schwelle für die „ultima ratio“ des Denkmalschutzes – in einem geänderten gesellschaftlichen und politischen Umfeld – auch in Zukunft so hoch ansetzt wie noch vor dem aktuellen Ereignis, ist damit jedoch nicht beantwortet. Denn zwar ist Schloss Reinhardsbrunn für den Freistaat Thüringen von besonderer Bedeutung. Sollte die Enteignung sich in ihrer erstmaligen Anwendung als wirksames Instrument darstellen, so liegt aber der Gedanke nicht fern, andere im Verfall begriffene Bauwerke, etwa oben genanntes Schloss Hummelshain oder in den Innenstädten von Weimar oder Erfurt notgesicherte Gebäude, ebenfalls zu „retten“.

Ein bundesweiter Ausblick

Ob auch andere Länder das Instrument der Enteignung aus Gründen des Denkmalschutzes in Zukunft nutzen werden, bleibt abzuwarten. Das Instrumentarium jedenfalls halten die Landesdenkmalschutzgesetze bereit. In Bayern wurde bereits angeregt, den Eigentümer von Schloss Ebelsbach in Unterfranken zu enteignen. Und auch die Worte des Thüringischen Ministerpräsidenten Ramelow (Die Linke), es handle sich um eine „wegweisende Entscheidung“, lassen weitere Anwendungsfälle erwarten.

Bemerkenswert ist, dass die vorliegend angewendete Norm den Bestand des Kulturdenkmals zum Tatbestandsmerkmal hat. Nach § 27 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 ThürDSchG allerdings würde schon der Erhalt des Erscheinungsbildes genügen, um eine Enteignung vornehmen zu können. Und das Erscheinungsbild ist, als sinnlich wahrnehmbare Äußerlichkeit, wohl erheblich früher beeinträchtigt als der materielle Bestand eines Gebäudes. Überdies: In Nordrhein-Westfalen ist eine Enteignung nach § 30 Abs. 1 lit. a) Denkmalschutzgesetz Nordrhein-Westfalen (DSchG NRW) ebenfalls zur Erhaltung des Bestands und des Erscheinungsbildes, darüber hinaus aber auch der Eigenart möglich.

Es wird daher spannend für alle Eigentümer von denkmalgeschützten Immobilien, die objektiv notwendige Maßnahmen zur Sicherung und Pflege ihrer Objekte bisher nicht haben vornehmen können. Inwiefern Rechtsmittel gegen denkmalschutzrechtliche Enteignungen Erfolg versprechen, wird sich erst nach einigen Präzedenzfällen einschätzen lassen können.

Autor:
Rechtsanwalt Dr. Jan Benjamin Daniels
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